Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
Haus zu setzen.
Doch auf wundersame Weise hatte sich ihr Wohnmobil plötzlich selbstständig gemacht und zog mit knatterndem Motorengeräusch wieder und wieder an dem Gasthaus vorbei. Es war nicht sie, die den Wagen steuerte, das war ihr bewusst. Es waren die Geister der Vergangenheit, die das Steuer übernommen und Kontrolle über ihren Körper ergriffen hatten. Eigenartigerweise ließ sie es geschehen.
Sie erkannte die vielen kleinen, doch tiefgreifenden Veränderungen, als sie neugierig und zu ihrer Verwunderung keineswegs ängstlich durch den ehemaligen Garten das Haus betrat. Der dichte Rauch verhüllte wie ein Schleier den Raum. Lärmende Geschwätzigkeit begrüßte sie. Eine andere Zeit, eine vergangene Welt lag vor ihr. Sie war plötzlich wieder sieben Jahre alt. „Josefine“, sie erkannte die strenge Stimme ihrer geliebten Großmutter. „Josefine. Komm zu mir. Wie schaust du denn wieder aus?“ Molly lächelte.
Warum ihre Eltern ihr diesen Namen gegeben hatten, war ihr schleierhaft. Alle nannten sie einfach nur Molly. Ihre Großmutter allerdings weigerte sich strikt, einen solch wenig schmeichelhaften und aus einem nicht besonders erfreulichen Grund entstandenen Namen zu gebrauchen. Es nützte nichts. Der Name Molly blieb, und als Eduard sie bei ihrem ersten Rendezvous in Stratford-upon-Avon nach ihrem Namen gefragt hatte, hatte sie für einen kurzen Moment gezögert. Wäre es nicht jetzt an der Zeit, ihre Identität zu ändern, ein ganz neues Leben zu beginnen, nicht mehr zurückzublicken?
Mein guter alter Eduard , dachte sie.
Er hatte sich ihr Zögern nicht erklären können, glaubte er doch, sie wolle ihm den Namen nicht verraten. Nie würde sie seinen dümmlichen Gesichtsausdruck vergessen und noch heute, nach so vielen Jahrzehnten, konnte sie herzlich darüber lachen.
„Mein Name ist Molly“, hatte sie in ihrem unbeholfenen Englisch geantwortet und er hatte glücklich ihre Hände in seine gelegt und gesagt: „Wonderful, ein wunderbarer Name.“
Ein lautes Klirren brachte Molly wieder zurück in die Gegenwart, ein Glas war wohl zu Bruch gegangen und zwang sie, sich dem lebhaften Treiben in der Wirtsstube zu stellen.
Sie ließ ihren Blick umherschweifen und erfasste sehr schnell, dass es nur im vorderen Bereich, in dem auch die Theke stand, derart turbulent und lärmend zuging, der hintere Teil der Gaststätte war fast leer. Erleichtert lenkte sie ihre Schritte dorthin, um an einem der letzten Tische Platz zu nehmen. Versonnen betrachtete Molly das zum vorwiegenden Teil noch alte rustikale Mobiliar der Großeltern. Nur wenig hatte sich verändert.
Auch wenn sie nicht mehr so viele gute Erinnerungen an diesen Ort hatte, so fühlte sie sich urplötzlich wieder auf eine merkwürdige Weise heimisch.
„Was darf ich Ihnen zu so später Stunde noch bringen, Gnädigste?“, unterbrach eine etwas gereizte Stimme Mollys Gedankengänge. Sie schaute in das Gesicht eines sehr gut aussehenden Mannes mittleren Alters, der sie leicht spöttisch von oben bis unten taxierte.
Etwas unverschämt, der Herr , dachte Molly. Aber irgendwie kommt er mir bekannt vor .
„Ich muss Sie darauf hinweisen, dass die Küche in wenigen Minuten schließt, wenn Sie also noch etwas bestellen wollen?“
„Kartoffelsalat!“, kam es Molly spontan in den Sinn. „Das war eine Spezialität meiner Großmutter, als sie hier im Steinhof noch ihr strenges Regiment führte. Die Leute kamen von weit her, um ihren frisch zubereiteten Kartoffelsalat mit Schnitzeln zu genießen.“
Die Miene ihres Gegenübers nahm einen reichlich verblüfften Ausdruck an.
„Sie sind mit meiner Großmutter Alma Stein verwandt?“, fragte er ungläubig.
Molly wusste im ersten Moment nicht, was sie sagen sollte, dann hatte sie eine Eingebung. Ihr Neffe Christoph, mit dem sie seit dem Tod ihres älteren Bruders gelegentlich korrespondierte, hatte ihr von ihrem „schrecklichen“ Cousin Hubert berichtet. Der einzige Bruder ihres Vaters, Erbe des Steinhofes, hatte kurz nach Mollys „Flucht“ nach England vor langer Zeit doch noch den ersehnten Erben bekommen. Konnte es sein, dass dieser jetzt vor ihr stand? Sollte sie sich zu erkennen geben? Hatte Hubert eine Ahnung, wer sie war? Hundert Fragen schossen ihr durch den Kopf. Wie sollte sie sich verhalten? Am liebsten hätte sie ihm ihre Identität erst einmal verschwiegen, nun hatte sie sich ja leider selbst verraten, indem sie von ihrer Großmutter erzählte. So konnte er leicht eins und eins
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