Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
Wunden nicht jedes Mal wieder aufzureißen. Und dann hatte auch er Julian verlassen.
Wie sehr musste sein Sohn ihn verabscheuen. Wie sehr musste er gelitten haben. Simon verabscheute sich am meisten selber. Er war ein Feigling gewesen und hatte sich in seinem Schmerz gesuhlt und verkrochen.
Simon spürte, wie sein Magen rebellierte. Nach all diesen Jahren, die vergangen waren, schmerzte es nicht mehr wie am ersten Tag und dennoch fühlte er sich jedes Mal erbärmlich, wenn er an diese Zeit zurückdachte.
Catherine Bryan-Hachenberg, warum hast du mir das angetan?
Die Antwort kannte er natürlich, ihre großartige Karriere hatte er über viele Jahre hinweg verfolgt. Sie war schon als junges Mädchen äußerst talentiert gewesen, hatte alle Hauptrollen im Schultheater gespielt und sich die eine oder andere kleine Rolle in Fernsehserien und in der Werbung ergattert. Sie war ein wildes junges Mädchen, das den großen Traum träumte, einmal eine berühmte Schauspielerin zu werden.
Und dann traf sie ihn. In diesem Sommer wurde Simon Hachenberg einundzwanzig. Direkt nach dem Abitur musste er zum Wehrdienst. Er wollte keinen, wie so viele seiner Kumpels in dieser Zeit, Zivildienst absolvieren, denn für ihn stand es fest, dass er einmal Polizist werden würde, und die Ausbildung beim Bund war fast wie eine Eintrittskarte für die Polizeischule. Seine Eltern, das wusste er, waren nicht sonderlich erbaut von seiner Idee, zur Polizei zu gehen. Seine Mutter, ängstlich besorgt um ihn, er könne ja erschossen werden, versuchte es ihm auszureden und sein Vater erklärte ihm, dass es noch viele andere interessante Berufe gäbe, er solle sich nicht sofort festlegen. Er schlug ihm vor, ein Jahr in England zu verbringen, er hätte dort einen Freund, der bei einer großen Chemiefirma in Billingham arbeiten würde und er könne ihn dort als Praktikant unterbringen. „Dann könntest du die Sprache lernen, richtig lernen“, meinte sein Vater, und Simon willigte ein, denn er sagte sich: Ein Jahr früher oder später auf die Polizeischule, was soll’s?
Natürlich hatte er dies gegenüber seinen Eltern mit keinem Wort erwähnt. Für ihn hatte nach wie vor festgestanden: Er würde Polizist werden.
Die Stimme des Piloten mit der Ankündigung der baldigen Landung in Düsseldorf brachte ihn zurück in die Gegenwart und mit gemischten Gefühlen verließ er das Flugzeug und ging Richtung Terminal.
Er erwartete niemanden, doch als er Julian am Ausgang entdeckte, schlug sein Herz schneller. Julians hochgewachsene Statur und seine blonden Haare waren schon von Weitem sichtbar und Simon winkte seinem Sohn zaghaft zu.
„Schön, dass du mich abholen konntest, und das auch noch so früh am Tag.“ Er wusste, dass Julian an einem Sonntag ein ausgesprochener Langschläfer war.
„Anweisung von Oberkommissar Reiser“, antwortete Julian mit gleichgültiger Stimme. „Als Praktikant muss man leider auch Dinge erledigen, die einem nicht so gut gefallen.“
Das saß.
Wortlos verließen sie das Flughafengebäude. Simon begriff nicht, wie seine Mutter auf die Idee gekommen und der Meinung war, er solle sich nun endlich einmal um seinen Sohn kümmern und Julian sollte sogar bei ihm wohnen. Sie wäre jetzt zu alt dafür und sie wolle sich in ihrem Alter anderen Dingen zuwenden. Genau so hatte sie ihm das gesagt.
Also hatte Julian drei Wochen zuvor mit Sack und Pack vor seiner Wohnung gestanden, in die auch er gerade erst wieder neu in Heiligenburg gezogen war, und hatte es sich im Gästezimmer bequem gemacht. Aus seiner Abneigung seinem Vater gegenüber machte er keinen Hehl und sprach nur das Allernötigste mit ihm.
Simon hegte den Verdacht, dass sein Sohn aus reiner Bequemlichkeit das Dach mit ihm teilen würde und er aus diesem Grund keinerlei Widerstand erkennen ließ.
Als seine Mutter Simon eines Tages erzählte, dass Julian sich als Praktikant bei der Polizei beworben hatte, war er überrascht und es zeigte ihm wieder nur einmal, wie wenig er seinen Sohn kannte. In seinen Vorstellungen sah er Julian eher als Lehrer oder Künstler, und wenn er ehrlich sein sollte, erfreute ihn diese Mitteilung, denn es gab ihm das Gefühl, seinem Sohn ein kleines bisschen näherzukommen. Glücklich hatte er sich eine Zukunft ausgemalt, die Vater und Sohn verbinden würde, wenn auch erst einmal nur rein beruflich.
Er wusste, dass er seinen Fehler nie wiedergutmachen konnte, aber er hoffte, dass sie eines Tages vielleicht Freunde werden könnten. Ein Blick
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