Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
zusammenzählen.
Doch dazu kam es gar nicht, denn im vorderen Bereich der Gaststätte brach plötzlich ein Tumult los. Zwei junge, stark alkoholisierte männliche Gäste hatten eine heftige, lautstarke Auseinandersetzung, sodass Hubert augenblicklich Mollys Tisch den Rücken kehrte, um den beiden zu zeigen, wer hier der Herr im Hause war.
Bereit sein ist alles! , dachte Molly und nutzte die Gunst der Stunde, um sich heimlich durch die hintere Tür zum Biergarten zu verabschieden. Schade um den Kartoffelsalat, aber es wird sicher noch eine bessere Gelegenheit geben, sich mit diesem unangenehmen Zeitgenossen bekannt zu machen.
E r liebte dieses Land, diesen Ort, diese Menschen. Ich hätte bleiben sollen , dachte er. Einfach bleiben sollen . Hier in dieser Idylle mitten in dem kleinen englischen Ort Norton-on-Tees, nicht weit von der rauen Nordsee und der schottischen Grenze entfernt, fühlte er sich zuhause. Hier kam er zur Ruhe und konnte sich von seinem Beruf bei der Polizei erholen. Simons Blick wanderte über Norton Green, mit seinen um einen großen Teich gebauten typisch englischen Häuschen.
Die rote Telefonzelle stand immer noch am gleichen Platz, genau wie vor über zwanzig Jahren, als er zum ersten Mal in dieses hübsche Städtchen kam und er den schönsten Sommer seines Lebens verbrachte. Ganz am Ende der Green stand sie, die alte Kirche St. Mary the Virgin, mit den uralten Gräbern, die viele Geschichten zu erzählen hatten.
Am anderen Ende, gesäumt von hohen alten Bäumen, erstreckte sich die High Street mit den vielen Cafés, Geschäften und Pubs und ebenfalls wunderschönen Häusern, einige mit runden Erkern und in allen Farben gestrichenen und verzierten Holztüren. Gerade diese Eingangstüren faszinierten und erfreuten ihn. Alle waren sie unterschiedlich und trotzdem passte alles so wunderbar zusammen. Sein größter Traum war es einmal gewesen, eins von diesen Häusern zu besitzen, als er jung war und verliebt, verliebt in Catherine.
Das Klingeln seines Mobiltelefons holte ihn aus seinen sentimentalen Erinnerungen zurück in die Gegenwart, und als er die Nummer des Dezernats in Heiligenburg erkannte, zu dem er nach über fünf Jahren Auslandsdienst wieder als Hauptkommissar zurückkehren würde, zögerte er.
Mist, nicht einmal im Urlaub lassen sie mich in Frieden , dachte er verdrießlich, doch sein Pflichtbewusstsein, verinnerlicht in seinem Charakter, und mehr als zwanzig Jahre Polizeiarbeit ließen sich nicht so einfach abschütteln.
„Simon, bist du es?“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang verzerrt. Sie gehörte Oberkommissar Reiser, seinem zukünftigen Partner im KK1. Anfang vierzig und unverheiratet, wohnte dieser tatsächlich noch bei seiner Mutter.
Im Widerspruch dazu, auch wenn zugegebenerweise das eine mit dem anderen nicht zwingend etwas damit zu tun hatte, spielte er im Job den knallharten Bullen.
Diese Tatsache machte es nicht immer einfach, mit ihm zusammenzuarbeiten. Aber Simon wusste, auf Reiser war Verlass. Er war ein guter Polizist, das hatte er in den früheren Jahren, bevor sich Simon ins Ausland hatte versetzen lassen, oft bewiesen. Damals arbeiteten sie zwar nicht in einer Abteilung, dennoch hatten sich bei dem einen oder anderen Fall ihre Wege gekreuzt.
„Hallo, kannst du mich hören?“
„Ja doch, ich hör dich, Reiser. Was ist denn los?“
„Mord, Simon. Wir haben einen Mord. Bist du noch dran?“
„Ja, Reiser, ich bin hier.“ Wehmütig schweifte sein Blick über den kleinen Teich. Er beobachtete zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen, die freudig die Enten mit Brotkrumen fütterten.
Bei der ersten Dienstbesprechung hatte er seiner Dienststelle KK1 strikte Anweisungen gegeben, ihn nur aus dem Urlaub zurückzubeordern, falls das Gebäude brennen sollte oder, was in diesem Bezirk zum Glück eher selten vorkam, ein Mord geschehen war. Doch genau das war geschehen. Simon Hachenberg, neuer Hauptkommissar aus Heiligenburg, befand sich gerade einmal seit achtundvierzig Stunden im Urlaub.
Der Flug LH 771 aus Newcastle nach Düsseldorf hatte Verspätung. Eine Stunde später als vorgesehen, jedoch leider eine Woche zu früh, trat Simon seinen Rückflug nach Deutschland an. Seinen nostalgischen, in Erinnerungen schwelgenden Urlaub musste er erst mal bis auf weiteres verschieben.
So viele Jahre war er nicht dort gewesen.
Warum habe ich eigentlich so lange gewartet? , fragte er sich jetzt und wusste eigentlich die Antwort, schon bevor er sich die
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