Todesrennen
fliegen kann?«
»Nein«, meinte Isaac Bell. »Sie wird nach San Francisco fliegen.«
35
Zwei Tage später kreiste Josephine über dem Geschäftsviertel von El Paso, während Isaac Bell auf der Suche nach Harry Frost mit einem Gewehr die Dächer durch ein Fernglas kontrollierte. Ihr Celere-Eindecker hatte auf der Etappe von Pecos aus wie auch schon am Vortag von Midland nach Pecos die Führung übernommen.
Unten auf der Erde wogte eine Menge von zehntausend Texanern, die herausgekommen waren, um die Aviatrice zu begrüßen, animiert von Zeitungsschlagzeilen, die verkündeten:
HIER KOMMT DIE BRAUT!
Sie verstopften das Geschäftsviertel, um aus den Straßen, von den Plätzen, aus Fenstern und von den Dächern sechs Stockwerke hoher Häuser zuzuschauen. Eingedenk der Menschenmassen, mit denen sie in Fort Worth konfrontiert worden waren, hatte Bell von Whiteway verlangt, den ursprünglichen Landeplatz zu einem einfacher zu bewachenden Güterbahnhof neben dem Rio Grande zu verlegen. Nach einem Blick auf das Gewimmel unter ihnen war er froh, so entschieden zu haben.
Josephine lieferte ihnen noch immer ein Spektakel, als Steve Stevens’ weißer Doppeldecker mit Joe Mudds roter Liberator im Schlepptau im Osten auftauchte. Sie flog für die Menschenmenge einen weiteren Kreis, schmückte das Manöver mit einer Serie steiler Sink- und Steigflüge aus, die die Zuschauer in laute Oh- und Ah-Rufe ausbrechen ließen, und ging dann im Eisenbahndepot hinunter.
Bell landete neben ihr.
Die Rennteilnehmer hatten den ganzen Tag über mit Gegenwinden gekämpft, und ihre Hilfszüge waren bereits eingetroffen. Die Teams feierten die Ankunft. Da der Staat Texas nunmehr hinter ihnen lag, schien die Ziellinie beinahe in Sicht zu sein. Im Süden, auf der anderen Seite des Flusses, funkelte bereits die exotische Landschaft Mexikos in der Sonne. Aber es war der Westen, dem ihr eigentliches Interesse galt, das New-Mexico-Territorium, das Arizona-Territorium und schließlich Kalifornien – am Rand des Pazifischen Ozeans.
Noch waren sie nicht dort, wusste Bell sehr wohl, als sein Blick an einer Reihe blauer Gebirgsketten hängenblieb, die auf die kontinentale Wasserscheide hinwiesen. Um nur das niedrige Ende der Rocky Mountains zu überfliegen, müssten die Maschinen höher als viertausend Fuß aufsteigen.
Einige Telegramme warteten auf ihn. Insbesondere eines hob seine Stimmung beträchtlich. Archie hatte sich so weit erholt, dass er es riskieren konnte, mit Lillian in Osgood Hennessys Privatzug nach Westen zu reisen, um das Ende des Rennens persönlich mitzuerleben. Bell kabelte zurück, dass sie den Anwälten Zunder geben sollten, die sich um Danielle Di Vecchios Entlassung aus dem Irrenhaus bemühten, und dann auch sie mitnehmen sollten, damit sie mit eigenen Augen sehen konnte, dass die Maschine ihres Vaters den Kontinent überquert hatte, während er das Rennen bewachte – natürlich vorausgesetzt, dachte Bell und klopfte reumütig auf Holz, dass er sie nicht irgendwo im Gelände zerschmetterte oder von Harry Frost abgeschossen wurde.
Weniger gute Nachrichten enthielt ein langes Telegramm aus der Recherche-Abteilung:
PLATOW UNGREIFBAR, UNSICHTBAR, UNBEKANNT.
Gary Forrer hatte seine Nachricht damit begonnen, seinen Misserfolg einzugestehen. Außer den Berichten vom Belmont Park konnte er kein zusätzliches Material über den russischen Erfinder Dmitri Platow zu Tage fördern. Der Chef des Van Dorn Research Department fügte eine verblüffende Bemerkung hinzu, die das Rätsel eher noch vertiefte:
THERMO-MOTOR BEI INTERNATIONALER LUFTFAHRTAUSSTELLUNG IN PARIS VON AUSTRALISCHEM ERFINDER UND SCHAFZÜCHTER ROB CONNOLLY VORGEFÜHRT.
NICHT VON PLATOW.
AUSTRALIER VERKAUFTE MASCHINE UND
KEHRTE NACH HAUSE ZURÜCK.
ZURZEIT UNERREICHBAR IM OUTBACK.
KÄUFER DES THERMO-MOTORS UNBEKANNT.
MÖGLICHERWEISE PLATOW???
Isaac Bell machte sich auf die Suche nach Dmitri Platow. Er fand James Dashwood, dem er den Auftrag gegeben hatte, den Russen zu beobachten, wie er auf das Ende von Steve Stevens’ Versorgungszug starrte. Ein ratloser Ausdruck verdüsterte seine Miene, und verlegen senkte er den Kopf, als er den Chefermittler mit energischen Schritten auf sich zukommen sah.
»Ich vermute«, sagte Isaac Bell streng, »dass Sie Platow verloren haben.«
»Nicht nur Platow. Sein gesamter Werkstattwagen ist verschwunden.«
Er war der letzte Wagen von Stevens’ Privatzug gewesen. Nun war er nicht mehr zu sehen.
»Er
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