Todesrennen
Rundstreckenrennen oder versuchten, Höhenrekorde aufzustellen – es gab keine der üblichen Darbietungen wie das spektakuläre In-die-Höhe-Schießen und Im-Sturzflug-Zurückkehren oder Extremsteigflüge, wie sie bei einer Flugschau zu erwarten waren –, sondern sie zogen einfach ihre Kreise durch die Luft, wann immer ihnen danach zumute war. Aber die Tribünen waren dicht besetzt mit Männern und Frauen, die begeistert applaudierten und Hochrufe ausstießen. Frost konnte am Staunen in ihren Gesichtern und ihren ständigen »Ooohhhs« und »Aaahhhs« erkennen, wofür sie ihre Vierteldollars bezahlt hatten. Der Anblick der riesigen Maschinen, die von unsichtbaren Kräften in der Luft gehalten wurden, war wirklich atemberaubend. Zwar waren sie nicht so schnell wie Lokomotiven und Rennwagen, aber das machte nichts aus. So groß sie waren, sie hingen am Himmel, als gehörten sie dorthin.
Plötzlich entdeckte er sie!
Wie ein gelbes Schwert stürzte Josephine vom Himmel herab. Ihre Maschine war unverwechselbar. Sie war mit dem gleichen Whiteway-Gelb lackiert worden, das dieser Fatzke, der mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden war, zu seinem Markenzeichen gemacht hatte.
Harry Frost hatte seine Frau zu vielen Fliegertreffen und Flugschauen begleitet, um ihr Flugzeuge zu kaufen, und so betrachtete er diese Maschine mit kundigem Blick. Er war beeindruckt. Die letzte Erfindung des Italieners war ein Juwel von einer Maschine und unterschied sich von dem letzten Aeroplan, das Frost für Josephine erworben hatte, wie ein Habicht von einer Taube. Diese letzte Maschine – es war die, aus der Josephine beobachtet hatte, wie er den Bastard erschoss – war ein robuster Doppeldecker gewesen. Dies hier war jedoch ein Eindecker mit einer Tragfläche, und selbst nachdem sie nach kurzem Rollweg auf dem Innenfeld stoppte, machte sie immer noch einen schnellen und wendigen Eindruck, wie sie so dastand.
Er biss die Zähne zusammen, während er sein Fernglas scharf stellte. Da war sie, sprang auf den Boden herab und hatte dieses strahlende Lachen im Gesicht, das sie immer zeigte, wenn sie sich in eine Flugmaschine verliebt hatte. Sie sah nicht so aus, als trauere sie um ihren Freund, und sie sah auch nicht so aus, als vermisse sie ihren Ehemann. Er spürte, wie ihm unter seinem Bart das Blut heiß ins Gesicht schoss. Er wischte sich wieder die Stirn ab. Es wurde Zeit zu handeln.
Er verließ die Tribüne. Der Ordner am Tor hielt ihn an. Frost zeigte ihm die Plakette, die ihn zum Betreten des Innenfelds berechtigte und die er am Vortag einem betrunkenen Rennbahnangestellten in einem Saloon in Hempstead abgekauft hatte. Der Wächter ließ ihn durch. Er überquerte das Geläuf und blieb stocksteif stehen, geschockt vom Anblick seines Gesichts auf einem Plakat, das an die Innenseite des Geländers genagelt worden war.
GESUCHT
Mutmaßlicher Mörder
HARRY FROST
BELOHNUNG
*** 5000 ***
(Bewaffnet und gefährlich – Kontakt vermeiden!!!)
Telegrafieren oder telefonieren
VAN DORN DETECTIVE AGENCY
»Wir geben nicht auf. Niemals.«
Frosts Gedanken rasten. Weshalb machten die Van Dorns mit Steckbriefen Jagd auf ihn? Was interes sierte es denn die Van Dorns, dass er Marco Celere getötet hatte? Was zum Teufel war da los?
Sein gedrucktes Gesicht starrte ihn an.
Es war das übliche Van-Dorn-Plakat. Frost erinnerte sich aus seiner Chicagoer Zeit sehr gut daran, als die Detektive in der Stadt herumliefen und ihn aufzuhalten versuchten, indem sie Leute verhafteten, die für ihn arbeiteten. Als sie damit keinen Erfolg hatten, hatten sie versucht, Leute dazu zu bewegen, ihn zu verpfeifen. Ein paar tote Informanten hatten diesem Versuch schließlich ein Ende gemacht, erinnerte er sich und lachte knurrend.
Wir geben nicht auf?
Niemals?
Wirklich? Na, bei mir hast du aber doch aufgegeben, mein Freund.
Er lachte abermals, denn die Zeichnung, die sie da von seinem Gesicht angefertigt hatten, zeigte ihn so, wie er ausgesehen hatte, bevor er sich seinen Bart hatte wachsen lassen. Frost war sich nur am Rande bewusst, dass er mit seinem lauten Lachen die Aufmerksamkeit anderer auf sich zog, die ebenfalls zum Innenfeld wollten. Niemand hingegen brachte sein bärtiges Gesicht mit dem bartlosen Steckbrief in Verbindung.
Plötzlich erstarb ihm das Lachen auf den Lippen.
Ein weiterer Steckbrief schrie ihm vom Geländer entgegen, er hatte den gleichen Text wie der erste – »GESUCHT / Mutmaßlicher Mörder / HARRY FROST / BELOHNUNG
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