Todesritual: Thriller (German Edition)
gemerkt, weil es ihnen egal war; und wenn der eine oder andere doch das erste Knacken hörte, steckte er sich die schicken weißen i- Kopfhörer nur noch tiefer in die Ohren und drehte die Musik lauter auf. Max’ Generation hatte schon in jungen Jahren Entbehrungen gekannt, und deshalb waren sie immer wieder auf die Beine gekommen. Dieser verwöhnte, verhätschelte, verschuldete Haufen Idioten wusste nichts vom Leben. Wenn die am Boden aufschlugen, würden sie sich wahrscheinlich nur auf einer neuen Tanzfläche wähnen.
Die Stadt war schon früher an diesem Punkt gewesen, schon oft. Einige Male hatte er, als ahnungsloses Barometer, miterlebt, war die Welle nach unten geritten und auf der nächsten wieder nach oben gesurft; seine Augen hatten sich oft an strahlende Helligkeit und wieder an die Dunkelheit und wieder ans Helle gewöhnen müssen. Als er geboren wurde, war Miami der Spielplatz Amerikas gewesen, ein Touristenmagnet. In seiner Jugend war der Spielplatz verwahrlost, und die Art-déco-Hotels schlossen ihre Pforten. Dann hatte sich die Stadt als »Gottes Wartezimmer« neu erfunden, die Hotels hatten als ruhige Alterssitze für Ostküsten-Juden wieder aufgemacht – für die Flüchtlinge aus dem New Yorker Garment District, die es in das Gelobte Land des Sonnenscheins, der niedrigen Mieten und des Todes zog. In der Totzone der Siebzigerjahre war er Polizist gewesen, als der Freedom Tower eine Unterkunft für Obdachlose und der Ocean Drive ein Flüchtlingslager war. In jenem Jahrzehnt hatte er mit der Waffe in der Hand gegen die Kokain-Cowboys gekämpft, deren Millionen die Stadt fett und korrupt machten. Während des folgenden Niedergangs hatte er als Privatdetektiv gearbeitet, hatte Entführte und Ausreißer gesucht, deren Verschwinden stets an einen Wert in Dollar gekoppelt war. Dann hatte er zugesehen, wie Film-Crews ein halb verfallenes Hotel nach dem anderen renovierten, weil eine Fernsehserie – Miami Vice – eine Primetime-Version seiner Heimatstadt propagierte, die so fern der Wirklichkeit war, dass es ihn zum Lachen brachte. Es dauerte kein Jahr, bis die Touristen in Scharen die Hotels aufsuchten, die sie aus dem Fernsehen kannten, und viel Geld dafür bezahlten, durch dieselben Flure schreiten zu dürfen wie Don Johnson. Die sterbenden Juden wurden verdrängt von sterbenden Schwulen, AIDS-Kranken, die von der reichsten Nation der Welt, die medizinisch weiter entwickelt war als jede andere, fallen gelassen worden waren und nach Miami kamen, um an einem Ort zu sterben, an dem zu leben sie sich leisten konnten. Sie hauchten ihre letzten Atemzüge in die erloschene Club-Kultur Miamis und gaben ihr damit neues Leben, machten sie wieder hip. Als Max aus dem Gefängnis kam, sah er ihre Hinterlassenschaft in voller Blüte: South Beach, glitzernd und cool, wieder strahlend und en vogue wie in den Fünfzigerjahren; hetero mit schwulem Einschlag, ein Magnet für Modezaren unter der Führung ihres Kronprinzen Gianni Versace in seiner protzigen Villa auf dem Ocean Drive. Als Versace 1997 vor seiner eigenen Haustür erschossen wurde, war die Party nicht vorbei. Sie suchte sich nur ein neues Outfit. Versaces Andenken wurde begossen und anschließend in Crystal ertränkt, die Schwulenszene zog weiter nach Fort Lauderdale, und Versaces Haus wurde zum Luxushotel umgebaut. Klasse wurde abgelöst vom Ordinären, aber es war keiner da, der den riesengroßen Unterschied aufgezeigt hätte. Der nächste Abstieg Miamis war also überfällig. Er würde lang und schmerzhaft sein. Das Neonlicht würde der Dunkelheit weichen, der Lärm dem Schweigen, und die Wellen würden nicht mehr Schlaflieder säuseln, sondern beim Abtragen der postkartenperfekten Strände bedrohlich rauschen.
Max wollte das nicht mehr miterleben.
Er hatte keine Ahnung, wohin es ihn ziehen würde. Er hatte keinen bestimmten Ort im Sinn. Nur ein vages Gefühl für das, was ihm zusagen würde: irgendwo, wo es ruhig und warm war und wo es nicht zu viele Menschen gab, die alles in die Scheiße reiten konnten. Vielleicht die Wüsten Utahs.
Er musste an Joes Blut auf der Lincoln Road denken, und dass jede Spur davon inzwischen wahrscheinlich weggespült worden war. In ein paar Tagen würde das Restaurant wieder aufmachen, und die Menschen würden an der gleichen Stelle sitzen und essen, an der sein bester Freund gestorben war. Das Leben würde unbekümmert weitergehen, der endlose Kreislauf.
10
Zu Hause in seiner Küche.
Früher, als er noch trank, wäre
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