Todesritual: Thriller (German Edition)
er in der gleichen Situation tief in die Flasche gekrochen, zum Trost. Heutzutage blieb ihm als Antrieb wie zur Entspannung nur noch Kaffee.
Er schaltete die Espressomaschine ein und sah zu, wie der Bustelo zäh und schwarz in die Chromtasse troff: die stärkste Mischung, die auch Tote wecken konnte.
Er war müde und am Ende seiner Kräfte, die Augen rot und geschwollen, er konnte nicht mehr klar sehen, die Müdigkeit steckte ihm tief in den Knochen, und seine Haut hing schwer wie ein Kettenhemd an ihm.
Er hätte sich auf den Fußboden legen und auf der Stelle einschlafen können, die üblichen vier bis fünf Stunden Koma. Er hätte alles andere anhalten und Platz schaffen können für die Trauer, um zur Besinnung zu kommen, nachzudenken, um für Joes Familie da zu sein, wenn sie es wollten, wann sie es wollten.
Aber das würde warten müssen.
Vorher war Vanetta Brown an der Reihe. Wer war sie, und warum hatte sie Joe und Eldon umbringen lassen? … Wenn es denn stimmte.
Er war sich da nicht so sicher.
Es ergab keinen Sinn.
Warum Eldon und Joe? Die beiden waren völlige Gegenpole gewesen. Joe hatte stets nach Vorschrift gehandelt, Eldon hatte nach seinen eigenen Regeln gelebt: Den Weg nach oben hatte er sich mit Schikane, Erpressung und Einschüchterung freigemacht und dann sowohl die Polizei als auch die Stadt mit ganz ähnlichen Methoden geführt.
Bis auf die Tatsache, dass Joe für Eldon gearbeitet hatte, konnte Max da keine Gemeinsamkeiten erkennen.
Und außerdem: Warum hatte der Mörder so lange gewartet?
Er ging in sein Arbeitszimmer und rief die E-Mails ab.
Nur eine einzige Nachricht, die allerdings vollkommen unerwartet.
Sie stammte von Jack Quinones, einem alten Freund von Joe und früher auch ein Freund von Max. Quinones war der einzige FBI-Beamte, mit dem er je zurechtgekommen war – damals. Sie hatten zusammen Fälle bearbeitet und Informationen ausgetauscht, ohne sich um endlose bürokratische Verfahrensvorschriften zu scheren und um Zuständigkeiten zu rangeln.
Inzwischen hatten sie sich nicht mehr viel zu sagen. Quinones verachtete Max – wie alle seine alten Bekannten auf der Seite der Gesetzeshüter, außer der Mannschaft der MTF. Warum Joe zu ihm gehalten hatte, hatte Max nie ganz verstanden. Er bezweifelte, dass Joe selbst es wusste – gewusst hatte. Max hatte ihn einmal danach gefragt, und Joe hatte mit den Schultern gezuckt und ewig gebraucht, eine Antwort rauszukriegen. Am Ende hatte er nur eines gesagt: »Auch Hitler hatte Freunde.« So richtig viel besser hatte sich Max dadurch nicht gefühlt, aber es hatte ihn zum Lachen gebracht.
Max,
habe das von Joe gehört. Mein sehr aufrichtiges Beileid.
Wir müssen reden. Melde dich so bald wie möglich.
JQ
Das letzte Mal waren sie sich zufällig bei Joe zu Hause über den Weg gelaufen, ungefähr zu der Zeit, als Max »Pétion-Mingus Ermittlungen« gründete. Max war mit Joe verabredet gewesen und zu früh gekommen. So hatte er Quinones angetroffen, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, die Regeln der Höflichkeit einzuhalten. Er hatte Max einen verächtlichen Blick zugeworfen und war gegangen. Er wusste, was jeder Polizist in Miami wusste – dass Max vorsätzlich getötet hatte und nach sieben Jahren freigekommen war, dass Eldon Burns Fäden gezogen und Gefallen eingefordert, dass er den Staatsanwalt bearbeitet und das Eigenheim des Richters finanziert hatte. Würde Quinones ihn mehr mögen, wenn er lebenslang einsitzen würde? Nein. Aber darum ging es nicht.
Max ging ins Internet und suchte nach Vanetta Brown.
Viel gab es nicht – 23 Treffer auf sechs Seiten.
Die beiden ersten Links führten zu zwei Abhandlungen über die Black-Power-Bewegung, in denen die »Schwarzen Jakobiner von Miami« nur flüchtig erwähnt wurden. Sie wurden, fast abschätzig, als Randgruppe eingestuft, die die separatistischen Ideen der Black Panther nicht teilte, es fielen Bezeichnungen wie »Pantherkätzchen«, »Black Flower Power« und »Hippie-Nigger«. Außerdem erfuhr Max, dass Vanetta Brown 1968 in Miami einen Polizisten namens Dennis Peck erschossen und sich nach Kuba abgesetzt hatte, scheinbar die einzig erwähnenswerte Handlung ihres Lebens.
Danach gelangte er auf eine Seite mit dem Titel »Kuba: Gangsta’s Paradise «, auf der sich eine Liste von 94 US-Kriminellen fand, denen das Castro-Regime zwischen 1960 und 1990 Asyl gewährt hatte. Die Liste war in fünf Kategorien unterteilt: Polizistenmörder, Mörder, Entführer, Räuber
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