Todesritual: Thriller (German Edition)
Hemd mit hellen, gen Himmel fliegenden Vögeln darauf. Zu seiner Linken, am Steuer des Bootes sitzend, sein Komplize: kräftiger gebaut, schulterlanges Haar, das Gesicht in perfektem Profil vor dem hellen Boot.
Das nächste Foto zeigte eine Vergrößerung dieses Profils. Die Gesichtszüge waren wegen des schlechten Lichts und der Schatten kaum zu erkennen, wohl aber die markante Nase: ausladend am Ansatz, in der Mitte gebogen, dann in gerader Linie hinunter zur gerundeten Spitze. Er sah auch die pfeilförmige Vertiefung mitten auf der Stirn. Der Fahrer sah eindeutig männlich aus.
»Haben Sie die durch die Computer gejagt?«, fragte Max.
»Ja. Ohne Ergebnis.«
Die übrigen Fotos waren Satellitenaufnahmen des Schnellboots, das eine Linie durch den Ozean zog und sich mit einem anderen Boot traf, auf das zwei Männer überwechselten, das zweite Boot fuhr davon. Dann ging das Schnellboot in Flammen auf und brannte in Standfotos nieder: erst mehrere Aufnahmen der lodernden Flammen, zuletzt der vom Feuer definierte Umriss des Bugs, der, von Schwarz umgeben, noch aus dem Wasser ragte.
Sie hatten das Boot in Brand gesetzt, um alle kriminaltechnischen Beweise zu vernichten. Was bedeutete, dass sie nicht identifiziert werden wollten. Was wiederum bedeutete, dass ihre Daten im System erfasst waren, irgendwo.
Max nahm sich noch einmal das erste Foto vor und schaute in die leeren, tintenschwarzen Augen, die seinen Blick erwiderten. Dieses Gesicht hatten Eldon und Joe kurz vor ihrem Tod gesehen.
Wendy Peck schob ein weiteres Hochglanzfoto über den Tisch.
»Erkennen Sie die wieder?«
Eine Vergrößerung einer Patronenhülse, daneben ein Lineal.
»Die hat Lamar Swope Ihnen gegeben. Sehen Sie genau hin.«
Sofort bemerkte er die kleine schwarze Markierung mitten auf der Hülse. Sie erinnerte an die zwei Hälften eines gebrochenen Herzens, aber so ganz passten die Umrisse nicht: Oben fehlte die Rundung, und die inneren Kanten waren glatt, dafür die äußeren gezackt.
Noch ein Foto schlitterte über den Tisch, das gleiche Bild in Vergrößerung.
Und Max sah zwei lange schwarze Flügel, zusammengefaltet, wie vor dem Flug. Sie waren geformt wie eine grausame Zange, die kurz davor war, ihre Beute zu packen, und hatten zugleich auch etwas vage Menschliches an sich. Im oberen Teil erkannte Max die Silhouette eines Gesichts – geschürzte Lippen, die Andeutung eines Kinns, gerade Nase und die Stirn –, das aber auch der Kopf eines Löwen hätte sein können. Nach unten hin wurden die Flügelfedern dünner und liefen zu einer langen, gebogenen Spitze aus.
»Was ist das?«, fragte Max.
» Las alas negras . Schwarze Schwingen. Das Zeichen des Abakuá.«
»Was für ein Zeichen?«
»Das des Abakuá«, sagte sie und buchstabierte den Namen. »Das ist eine afro-kubanische Sekte, eine Geheimgesellschaft, die es seit über 500 Jahren auf der Insel gibt. Sie entstand zu Zeiten der Sklaverei und hat bis heute überdauert. Das ist ein Volk im Volk. Sie leben in Kuba, aber in einer eigenen Welt. Sie sind keine Freunde Castros, nie gewesen. Sie hassen seine Revolution und sein Regime.«
»Und der Schütze ist einer von ihnen?«
»Vielleicht«, sagte sie. »Wahrscheinlich. Der Abakuá heuert öfter mal einen Killer an – unter anderem. Und zwar ausschließlich ehemalige kubanische Militärs. Bestens ausgebildet.
Der Abakuá arbeitet hauptsächlich in Südamerika, war aber auch hier in Miami schon aktiv, und in Trenton, New Jersey, und in Spanien, Frankreich, England und Russland. Die Vorgehensweise ist meist mehr oder weniger die gleiche: Zwei Kugeln durch die Augen und die Visitenkarte am Tatort, die schwarzen Schwingen. Damit auch alle wissen, wer es war. Die CIA hat gelegentlich versucht, Abakuás als Konterrevolutionäre anzuheuern. Ist nicht so gut gelaufen.«
»Soll heißen?«
»Die ersten Male ist es einfach schiefgegangen. Es wurde viel Zeit und Geld verschwendet, während die einen Agenten nach dem anderen in eine Sackgasse geführt haben. Niemand weiß, wer zum Abakuá gehört. Die geben sich nicht zu erkennen. Sie könnten mit einem von denen an der Bar sitzen und Bier trinken und würden es nicht wissen.
1975 ist ein Agent ihnen sehr nahegekommen. Scott Colby hieß er. Man nimmt an, dass er mit einem führenden Abakuá in Kontakt getreten ist, aber bestätigt wurde das nie.« Sie schwieg und sah noch mehr Fotos durch.
»Was ist passiert?«
»Der Fall ist ziemlich unschön ausgegangen. Colby ist verschwunden«, sagte
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