Todesritual: Thriller (German Edition)
sie, »und wurde einen Monat später in seinem Hotelzimmer in Havanna wieder aufgefunden.«
Sie reichte Max mehrere Schwarz-Weiß-Fotos, aufgenommen von der kubanischen Polizei.
Ein bärtiger Weißer schlaff in einem Sessel sitzend, die Arme über den Lehnen hängend, die Fäuste geballt, den Kopf im Nacken. Es sah aus, als würde er schlafen, als wäre er tagelang auf den Beinen gewesen und dann, als er sich endlich hingesetzt hatte, auf der Stelle eingeschlafen. Die nächsten Bilder zeigten sein Gesicht: sternförmige, blutige Wunden, wo die Augen sein sollten, getrocknetes Blut im Bart, die Lippen über den Hasenzähnen leicht geöffnet. Dann eine Nahaufnahme der Hände: die zur Faust geballten Finger waren vom Rechtsmediziner aufgebrochen worden, und in jeder Hand lag eine Patronenhülse. Auf beiden die schwarzen Schwingen, was die folgenden Fotos bestätigten: Großaufnahmen der Hülsen, die Schwingen klebten wie zerquetschte Insekten auf dem Metall. Es folgten die Fotos aus der Rechtsmedizin. Colby war gefoltert worden, Brust und Beine wiesen Prellungen von Fäusten und Stiefeln auf, der rechte Brustkorb war eingedrückt, auf dem Rücken waren lange Wunden unterschiedlicher Tiefe zu sehen, wie von Peitschenhieben. Verbrennungen an den Hoden, fast alle Fingernägel ausgerissen.
Max hatte schon Schlimmeres gesehen, aber das war lange her. Jetzt krampfte sich ihm beim Anblick der Leiche und der Wunden, die sie trug, der Magen zusammen.
»Er ist nicht in dem Zimmer getötet worden. Man hat ihn nach der Tat dort abgesetzt. In einem gut besuchten Hotel. Und niemand hat etwas gesehen«, sagte Peck. »Bevor sie ihn erschossen haben, haben sie alles aus ihm herausgeholt, was er über sie wusste, einschließlich der Namen sämtlicher Personen, mit denen er gesprochen hatte. Alle diese Kontaktpersonen sind am gleichen Tag verschwunden. Am achten August. In den nächsten Wochen wurde einer nach dem anderen an den Strand gespült. Alle mit einer Kugel in den Mund erschossen. Gehört auch zu den Methoden des Abakuá. Wenn jemand einen von ihnen identifiziert hat, kriegt er eine Kugel in die Augen. Wenn jemand ihre Namen nennt oder über sie redet, jagt man ihm eine Kugel in den Mund.«
»Was hat Castro unternommen?«
»Als die Leichen an den Strand gespült wurden, hat die kubanische Regierung behauptet, diese Menschen seien auf dem Weg nach Amerika ertrunken. So ist es immer. Manchmal versenkt die kubanische Polizei die Opfer des Abakuá sogar selbst im Meer.«
»Und Castro kann nichts gegen die ausrichten?«
»Er hat es nie geschafft, ihnen nahezukommen. Wie gesagt, es ist eine Geheimgesellschaft. Und in Kuba bedeutet geheim auch geheim. Man kann wohl sagen, dass er Angst hat vor ihnen – mehr als vor irgendjemandem sonst«, sagte sie. »Und das mit gutem Grund. Der Abakuá hat jeden Winkel der kubanischen Gesellschaft durchsetzt, jede Ebene des Regimes. Abakuá-Leute sitzen in der Regierung, in den Hotels, in der Armee und der Polizei, in den Taxis und Krankenhäusern. Sie sind die Streifenpolizisten auf der Straße und deren Vorgesetzter und der Vorgesetzte dieses Vorgesetzten. Der Abakuá hat sich durch das Regime gefressen wie ein Tumor. Er könnte es ohne Weiteres stürzen.«
»Und warum tut er das nicht?«
»Liegt nicht in seinem Interesse. Schließlich fährt er sehr gut damit. Er hält das Schwarzmarktmonopol, damit verdienen die ihr Geld«, erklärte sie. »Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hat Russland alle Hilfen an Kuba eingestellt. Kein Öl mehr, keine Maschinen, keine Lebensmittel. Das Land war ziemlich am Boden. Castro rief die so genannte ›Sonderperiode‹ aus – was bedeutete, dass die Kubaner auch ohne Grundbedarfsgüter auskommen mussten. In einem Monat waren das Seife und Toilettenpapier, im nächsten Reis. Der Abakuá hatte das kommen sehen und Lebensmittel und Toilettenartikel gehortet, während der Ostblock bröckelte. Und dann zu überhöhten Preisen weiterverkauft. Damit haben die ein Vermögen gemacht. Es gab sogar Gerüchte, dass sie Regierungsbonzen mit Fleisch versorgten.
Und sie haben auch vorausgesehen, dass Castro die Insel irgendwann für den Tourismus würde öffnen müssen, und waren von Anfang an dabei. Heute beliefert der Abakuá sämtliche Bars, Restaurants und Hotels des Landes.«
»Und wo ist die Verbindung zu Vanetta Brown?«, fragte Max. »Sie ist bestimmt keine von denen. Sie ist nicht mal Kubanerin. Und die sind gegen das System, das sie beschützt. Sie sind
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