TODESSAAT
wie viele Male wir ihnen auch entkommen mögen, wir werden doch immer wieder zurückkehren müssen. Wir können nicht ewig an deinem geheimen Ort bleiben.« Dem hatte Harry nichts entgegenzusetzen. Ehe er etwas erwidern konnte – sei es nun, um sie zu trösten, sei es sich selbst – fuhr sie fort: »Außerdem ist Shaithis ein schrecklicher Gegner.« Sie schüttelte den Kopf. »Du hast ja keine Ahnung, wie hinterhältig er ist.«
Das stimmt, überraschte sie aus dem Nichts eine Stimme, die plötzlich in ihren Gedanken erklang. Shaithis ist verschlagen und hinterhältig. Doch sein Ahnherr, Shaitan der Gefallene, ist noch weitaus schlimmer.
»Der Herr des Gartens!«, stieß Karen hervor, als sie erkannte, um wen es sich bei ihrem telepathischen Besucher handelte. Ungläubig fragte sie: »Aber sagtest du ... Shaitan?«
Der Gefallene, ganz recht, schnarrte der Wolf in ihren Gedanken. Er ist am Leben und unterwegs zu euch. Ihn, nicht Shaithis, solltet ihr fürchten.
Harry und Karen bemühten sich, den Kontakt aufrechtzuerhalten; für einen Augenblick war die Feste von fließenden Gedankenbildern erfüllt. Sie zeigten Berghänge, aus deren rutschendem Geröll übereinandergetürmte Findlinge ragten, einen vollen Mond, der die Felsen in seinen sanften, gelben Schein tauchte, und riesige, hoch aufragende Tannen. Dreieckige Augen – ziemlich viele sogar – funkelten silbern im Schatten der Bäume, wo das Rudel rastete, ehe es auf die Jagd ging. Dann verblassten die Bilder und waren verschwunden, und mit ihnen derjenige, zu dem sie gehörten.
Doch seine Warnung blieb Karen und dem Necroscopen im Gedächtnis haften. Sie hatten zwar keine Ahnung, woher er wusste, was er ihnen mitgeteilt hatte. Aber immerhin war er der Herr des Gartens. Zumindest war er es früher einmal gewesen. Das genügte ihnen.
Die Zeit verstrich.
Manchmal redeten sie miteinander, und manchmal warteten sie nur. Etwas anderes blieb ihnen nicht übrig. Im Augenblick saßen sie in der riesigen Halle der Feste vor einem Feuer und unterhielten sich. »Shaitan ist auch Teil der Legenden meiner Welt«, sagte Harry. »Bei uns nennt man ihn Satan, den Teufel, und er hat seinen Platz in der Hölle.«
»In den Geschichten, die man sich früher auf Starside erzählt hat, war deine Welt die Hölle!«, erwiderte Karen. »Und alle, die dort lebten, Teufel. Dramal Schicksalsleib hat fest daran geglaubt.«
Harry schüttelte den Kopf. »Dass die Wamphyri – wo sie doch selbst so ungeheuerlich waren und immer noch sind – an Dämonen, Teufel und dergleichen glauben sollen, ist schwer nachzuvollziehen.« Abermals schüttelte er den Kopf.
Sie zuckte die Achseln. »Wieso denn? Ist die Hölle denn nicht einfach das Unbekannte, jeder schreckliche Ort oder jede schreckliche Gegend, über die wir nichts wissen? Für die Travellerstämme lag sie hinter den Bergen in Starside, während sie für die Wamphyri jenseits des Sphärentores wartete. Dahinter musste doch ein schrecklicher Tod lauern, denn niemand ist je zurückgekehrt, um davon zu berichten. So jedenfalls sahen es die Wamphyri. Ich habe es auch so gesehen, damals, bevor ich Zek und Jazz, dich und deinen Sohn kennengelernt habe. Du darfst nicht außer Acht lassen, Harry, dass selbst die Wamphyri einmal Menschen waren. Zu was für einem Ungeheuer sich ein Mensch auch entwickeln mag, er wird doch nie vergessen, wie er als Kind nachts wach gelegen und sich im Dunkeln gefürchtet hat.«
»Shaitan«, sagte Harry grüblerisch. »Ein Geheimnis, das sich über zwei Welten erstreckt. Verbannte Lords der Wamphyri und hin und wieder auch ihre Traveller-Gefolgsleute haben die Legende in meine Welt gebracht, als sie auf Starside durch das Tor geschickt wurden.« Doch bei sich dachte er: Ach, tatsächlich? Oder ist diese sogenannte ›Legende‹ nicht vielmehr überall verbreitet? Der Böse, der Herr der Lügen, alles Schlechten? Warum klingen die Namen einander denn so ähnlich ... Satan, Shaitan? Gibt es in allen Universen des Lichts Teufel? Und wie sieht es dann mit Engeln aus?
»Wir hören besser auf, ihn für eine Legende zu halten«, mahnte Karen, so als habe sie seine Gedanken belauscht. Doch das hatte sie nicht. »Der Herr des Gartens sagt, es gebe ihn wirklich und er sei auf dem Weg hierher. Das heißt, wenn wir leben wollen, müssen wir ihn töten. Es ist nur so: Wenn Shaitan bereits seit – wann lebt? Seit zwei-, dreitausend Jahren? Können wir dann überhaupt davon ausgehen, dass wir ihn zu töten
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