TODESSAAT
nicht auf der Stelle an?«
»Wir greifen ja an, aber erst wenn unsere Bestien gefressen und wir selbst uns ebenfalls die Bäuche vollgeschlagen haben. Danach, wenn wir unsere Knochen eine Weile ausgeruht und womöglich auch ein paar andere Bedürfnisse, deren Erfüllung uns so lange versagt war, gestillt haben, ist es immer noch zeitig genug. Wir haben einen langen, kalten, beschwerlichen Weg hinter uns, Shaithis; und das nicht nur, damit du einen verhassten Feind loswirst oder ein Weib, das dich verschmäht und im Stich gelassen hat, deine Lust befriedigt. Also nimm dich zusammen und warte ab, und alles, was du begehrst, wird dir gehören.«
Doch obwohl Shaitan sich so zuversichtlich gab, machte er sich tief in seinem schwarzen Herzen Sorgen wegen ihres Gegners, Harry Keogh, des so genannten Höllenländers, eines Vampirs, der bislang noch kein Menschenblut getrunken hatte. Von Shaithis unbemerkt, hatte sein Ahnherr, dieser riesenhafte Egel, den Necroscopen mit Hilfe seiner überragenden vampirischen Kräfte von fern bereits still und leise zumindest teilweise abgetastet. Shaitans telepathische Fähigkeiten übertrafen selbst Karens oder Harrys Talent bei Weitem. (Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Die Made, die sich in Harrys Nervenenden gefressen hatte, war er gewesen). Dennoch war es bei diesen flüchtigen Abtastversuchen geblieben. Der Grund dafür war einfach: Man brauchte die Aura des Necroscopen nur oberflächlich zu streifen – lediglich in Reichweite des hellen Lichtes zu kommen, jener unergründlichen, im Entstehen begriffenen Konzentration von Macht, zu der er niemals werden durfte – und jeder, der auch nur über ein Mindestmaß an Gespür verfügte, hätte es sofort bemerken müssen. (Selbst Shaithis, wenn er nicht so ein Dummkopf wäre. Doch was für ein gut aussehender Dummkopf! Welch eine Verschwendung ... im Augenblick jedenfalls.) All diese aufgestaute Energie, die um einiges stärker war als bei einem normalen Menschen, womöglich sogar stärker als die Kräfte gewisser Vampire.
Doch was für eine Kraft war das, woher stammte sie? Das beunruhigte Shaitan. Denn ehe er nicht wusste, was mit Harry Keogh eigentlich los war, oder wozu er sich entwickeln mochte, konnte er sich nicht völlig sicher sein, wie er mit ihm verfahren sollte.
Da war es wesentlich einfacher, mit Shaithis fertig zu werden, wenn es so weit war – mit Shaithis, der sich selbst für den Verschlagenen hielt, mit Shaithis, dem schönen, unbedarften Möchtegern-Verräter, der sich schon bald als Shaithis der Narr erweisen würde. Jener Shaithis, der seinen Geist ach so eifersüchtig abschirmte, damit ihm seine abscheulichen, tückischen Gedanken nicht entfleuchten. Dabei hatte Shaitan sich schon, nun, vor langer Zeit heimlich in die Gedanken seines Nachkommen geschlichen. Sie stellten für ihn kein Geheimnis mehr dar!
Es wäre allerdings unklug, jetzt unnötig Aufhebens darum zu machen. Dazu blieb immer noch genügend Zeit, wenn dieser seltsame, fremde Verteidiger Starsides erst einmal tot oder anderweitig außer Gefecht gesetzt war. Vielleicht auch früher, jedoch nur, wenn Shaithis versuchen sollte, eine Entscheidung zu erzwingen.
Diese Gedanken gingen Shaitan durch den Kopf, im Verborgenen natürlich, damit Shaithis sie nicht lesen konnte ...
Sie ließen einen einsamen Krieger zurück, um die Feste zu bewachen, und nahmen die Übrigen mit nach Sunside, wo sie schon bald die Feuer einer Traveller-Siedlung erblickten. Eine kurze Zeit lang war die Nacht erfüllt von den Schreien der Menschen, dem Gebrüll der Krieger und den Lauten, die sie beim Fressen von sich gaben. Der Geruch des Todes hing in der Luft, und das Kreischen der bei lebendigem Leib Gefangenen. Es waren sechs, ausnahmslos Frauen.
Später ... drang rötlicher Feuerschein aus den höher gelegenen Fenstern von Karens Feste, Rauch stieg aus den Kaminen auf, und es schien, als sei dort eine große, vergnügte Gesellschaft im Gange. Für Vampire, die so lange darben mussten, war es das auch.
Was an misshandeltem, zerschundenem Fleisch noch übrig war, nachdem Shaithis und Shaitan sich darüber hergemacht hatten, wurde als Appetithappen an die Krieger verfüttert. Zum Glück war nichts davon mehr am Leben ...
Im Garten des Herrn lagen Harry und Karen in tiefem Schlaf.
Der Necroscope maß die Zeit immer noch nach Tagen und Nächten. Wenn sein Körper ihm sagte, es sei Nacht, ruhte er. Doch seine Müdigkeit war ohnehin sowohl physischer als auch psychischer Natur,
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