TODESSAAT
meines Kriegers in jener hohen Höhle fand; und auch als mir die blutleeren, nichtsdestotrotz noch fleischigen Kadaver der Largazis abhanden kamen. Oft habe ich gedacht: Wer ist es, der mich so aus nächster Nähe beobachtet und jeden meiner Schritte kennt? Ist er gar in meinem Verstand? Oder haben diese Eisburgen selbst Augen und Ohren? «
Nun war es für den Ferenc an der Zeit, zu sprechen. »Ich will nicht leugnen, dass auch ich das Mysterium dieses Ortes gespürt habe. Ich denke allerdings, es steckt ein Dämon dahinter, vielleicht der Geist eines Verstorbenen, verirrt in Raum und Zeit. Das Echo von etwas, das einmal war und nicht mehr ist. Seht Euch doch um und fragt Euch eins: Ist irgendetwas von dem, was wir zu sehen bekommen haben, jüngeren Ursprungs? Die Antwort lautet: nein. Gleich, welch widerwärtige Handlungen hier vorgenommen wurden, es geschah vor langer Zeit.«
Arkis schnaubte wieder. »Und meine Kriegerkreatur? Und die Largazi-Zwillinge?«
Fess atmete tief ein und gab ihm zur Antwort: »Gestohlen von einer diebischen Eis-Bestie. Vielleicht ein Cousin des bleichen Höhlenbewohners, mit dem ich und Volse es zu tun hatten.«
Shaithis hatte den kurzen Anflug von Melancholie abgeschüttelt, die befremdliche, verhängnisschwangere Vorahnung zerstreut, die gleich einer Nebelbank über ihn gekommen war. Er gab sich mit der Antwort des Ferenc zufrieden. Er war nicht derselben Meinung – nicht völlig, doch sie stellte ihn zufrieden, da sie die beiden auf eine falsche Fährte lockte. »Wenn es in diesem grausamen Spiel wahrhaftig keine gerissene Intelligenz gibt«, überlegte er halblaut, »oder nicht mehr gibt, was ja der Fall sein mag ... dann sagt mir: Welchen Sinn ergibt es dann, zum Vulkan zu marschieren?«
Wie so oft zuckte Fess die Schultern. »Am besten, man geht auf Nummer sicher, was?«, brummte er wie ein altkluges Traveller-Kind. »Und wenn hier eine gerissene Intelligenz am Werke war, wenngleich vor langer, langer Zeit, so mag deren Heimstatt nun für uns verfügbar sein, tief drunten, im Herzen des Vulkans. So oder so, eines ist sicher: Wir werden es nicht wissen, solange wir es nicht mit eigenen Augen sehen.«
»Nun?« Arkis Leprasohn war ungeduldig.
Doch Shaithis mahnte: »Ich bin dafür, dass wir erst darüber schlafen. Ich für meinen Teil habe vom Wandern im Moment genug, danke, und würde es vorziehen, den Bergkegel frisch ausgeruht und mit einem ordentlichen Frühstück im Leib anzugehen. Wie dem auch sei, mir ist aufgefallen, dass das Nordlicht wieder stärker wird. Was ein gutes Zeichen ist. Soll uns der lodernde Himmel den Weg erhellen.«
»Ich schließe mich Eurer Meinung an, Shaithis«, polterte der Ferenc. »Aber wo sollen wir unser Lager aufschlagen?«
»Warum nicht einfach hier?«, antwortete Shaithis. »In Rufweite, doch jeder von uns sicher in seiner eigenen Nische.«
Arkis nickte. »Damit bin ich zufrieden.«
Sie trennten sich und stiegen in riskanten Kletterpartien über schieres Eis zu ihren separaten Nischen und Gesimsen, im sicheren Wissen darum, dass niemand sie dort ungehört oder unbemerkt erreichen konnte. Alsdann legte ein jeder sich an seinem Platz schlafen. Shaithis spielte kurz mit dem Gedanken, sich eine warme, lebende Decke aus Albinos herbeizurufen, verwarf ihn jedoch wieder. Fess und Arkis würden nur Verdacht schöpfen, wenn die Fledermäuse kamen. Warum sollte Shaithis Macht über die Tiere haben und sie nicht? In der Tat, warum? Es war eine Frage, auf die er keine Antwort wusste. Jedenfalls noch nicht.
Er schlang den Mantel aus schwarzem Fledermauspelz eng um sich und kaute Hybridenfleisch. Es reichte kaum, ihn satt zu machen, doch es füllte den Bauch. Ein Auge offen, entschlossen, den großen Eisdom scharf im Blick zu behalten und mit ihm die Refugien von Fess und Arkis, dachte Shaithis: Ah, sei’s drum, es ist Fleisch, es ist Nahrung, und der Hauptgang wird eben später folgen müssen!
Der Hauptgang, ganz recht: Fess und Arkis höchstselbst. Die über ihn mit Sicherheit dasselbe dachten.
So schlief Shaithis ein; er begann tiefer zu atmen, während sein scharlachrotes Auge die Höhle bewachte ... und ganz langsam kamen die Träume ...
FÜNFTES KAPITEL
Shaithis von den Wamphyri träumte einen wunderbaren Traum. Wie es Träume so an sich haben, setzte auch dieser sich aus vielen Szenen und Bildern zusammen, für die es nur wenige oder gar keine Erklärungen gab – außer derjenigen vielleicht, dass sie allesamt ein Widerhall dessen waren,
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