TODESSAAT
Ding da war. Als Schatten unter lichteren Schatten stand es ihm in einer Höhle aus schwarzem Felsgestein gegenüber, unscheinbar bis auf das rote Glühen der Augen, die in schweflig angedeuteten Höhlen schwebten. Was er, Shaithis, an einem solchen Ort zu suchen hatte, vermochte er nicht zu sagen. Es kam ihm allerdings so vor, dass jemand ihn hierher gerufen hatte. Ja, genauso war es: Er befand sich nicht ganz aus freien Stücken hier, sondern hauptsächlich deshalb, weil er dem Ruf dieses rätselhaften Wesens gefolgt war.
Als bräuchte dieser Gedanke eine Bestätigung, sagte das Finstere Ding aus der Schwärze unter seiner Kapuze hervor: »Shaithis, mein Sohn.« Seine wahre Stimme klang tiefer und dunkler, und vermutlich war sie auch trügerischer als jede andere, die er bisher vernommen hatte. »So hast du mir also doch noch geantwortet. Es ist nicht gerade leicht, durch deinen raffinierten Gedankenschild zu dir durchzudringen, mein Sohn; sonst hätte ich dich schon vor langer Zeit erkannt und hergerufen.«
Shaithis’ Wamphyri-Augen und -Wahrnehmung gewöhnten sich an das Dämmerlicht, das hier herrschte. In der Tat sah und spürte er so gut wie eh und je, genau genommen also ungeheuer gut, wie eine Katze in der Nacht oder eine Fledermaus im Flug. Ob es dunkel war oder nicht, machte für ihn keinen Unterschied; so bestätigte die Finsternis nur seine erste Mutmaßung, dass er sich in einer natürlichen Felsenkammer tief im Bauch des schlummernden Vulkans befand. Was bedeuten mochte, dass Shaitan der Herr dieser unterirdischen Regionen war.
In so unmittelbarer Nähe las der andere seine Gedanken, als hätte Shaithis sie laut ausgesprochen, und gab ihm zur Antwort: »Aber natürlich, und so ist es seit ... oh, langer, langer Zeit.«
Shaithis spähte noch aufmerksamer zu den karmesinroten Augen des Schattens hinüber. Es war sonderbar; trotz all seiner scharfen Vampir-Sinne nahm er nach wie vor kaum mehr als den Umriss des anderen wahr. Das lag keineswegs an ihm. Seiner Wahrnehmung mangelte es an nichts; Shaitan musste seine körperliche Erscheinung also in einer Art und Weise abschirmen, wie gemeinhin er selbst seine persönlichsten Gedanken. Doch ... Shaitan der Gefallene? Konnte es denn sein – war es wirklich möglich, dass ein Geschöpf so lange lebte? Er entschied sich für ein Ja, denn stand er ihm nicht leibhaftig gegenüber?
»Das ist nicht nur ein Traum«, stellte Shaithis daraufhin mit einem Kopfschütteln fest. »Ich kann Eure Gegenwart spüren und weiß, dass Ihr Wirklichkeit seid: derselbe Shaitan, vor dem Kehrl Lugoz eine Todesangst hatte, immer noch hat; jenes uralte Wesen aus den ersten Annalen der Wamphyri-Legenden. In grauer Vorzeit hat man Euch hierher verbannt, und Ihr lebt noch immer hier.«
»Das stimmt schon«, gestand der andere, und dort, wo er stand, regte sich die Dunkelheit, als habe er nachlässig mit einer Schulter gezuckt. »Ich bin dieser Shaitan, den sie den Ungeborenen nennen, der Nämliche, der seit undenklichen Zeiten dein Ahnherr ist.«
»Ah!«, entfuhr es Shaithis, als ihm die Wahrheit dämmerte. »Dann sind wir also vom selben Blut?«
»In der Tat, ist das nicht offensichtlich? Du hebst dich von den anderen ab wie ein feuriger Meteor, der durch reglose Sternenmassen jagt. Ich war genauso – damals, in jenen fernen Tagen, als ich hinabfiel zur Erde. Und auch der Ehrgeiz ist derselbe, aye, und die Klugheit. Ich bin dein Ursprung, Shaithis – und deine Zukunft. Und du die meine.«
»Unsere Zukunft ist miteinander verknüpft?«
»Unauflöslich!«
»Ihr meint – fernab dieser Eislande? An zivilisierteren Stätten?«
»Auf Starside und in Welten, die jenseits davon liegen.«
»Was?« Für die Dauer eines Lidschlags war Shaithis sprachlos, denn hier begegnete ihm etwas mit dem Beigeschmack des früheren Traumes. »Welten – jenseits von Starside? Ihr meint die Höllenlande?«
»Sie machen nur den Anfang.«
»Und Ihr wisst von solchen Orten?«
»Es gab eine Zeit, da habe ich an einem solchen Ort gelebt. Doch das war, bevor ich zur Erde niederfiel – beziehungsweise gestürzt wurde.«
»Und Ihr erinnert Euch daran?«
» An nichts davon erinnere ich mich!«, gab das Finstere Ding mit einem Grollen zurück. Dabei bewegte es sich geringfügig näher. Diese Bewegung allein war wie ein Gewisper von Botschaften – als sei dieses Fließen bereits empfindungsfähig, als wohne ihm Intelligenz inne. Was Shaithis wiederum veranlasste, einen Schritt zurückzuweichen.
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