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Todessaat

Titel: Todessaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Arnout Smith
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Bildschirm gerichtet und aϐ nacheinander drei Stücke Salamipizza. Grace hörte schon nach einem halben Stück auf. Er schaltete den Fernseher aus und erhob sich.
    »Junge, werde ich heute Nacht Sodbrennen haben.« Er schloss den Deckel der Pizzaschachtel. »Was hat dir Vonda erzählt?«
    »Fangen wir einmal damit an.« Grace warf den Rand der Pizza weg und wischte sich die Hände ab. Sie sah ihn nicht an. »Was hast du der Jugendfürsorge über meine Mutter erzählt?«
    Sie hörte, wie er erstaunt Luft holte. Sie drehte sich um. Ein Muskel in seinem rechten Augenlid zuckte. Er wischte
das Fett von der Schachtel und rieb sich danach die Hände an einer zerknitterten Serviette ab.
    »Tante Chel hatte sich Sorgen gemacht. Wir beide. Wir bekamen Anrufe von Inkassobüros und Beschwerden über Schulschwänzen von der gesamten Westküste.«
    Ihr Herzschlag setzte aus. Sie hatte wieder das Gefühl, das sie jedes Mal am ersten Tag in einer neuen Schule hatte, wütend, in Alarmbereitschaft und auf alles gefasst. So wie sich Gefangene fühlen, wenn sie in eine neue Strafanstalt verlegt werden; mit dem Wissen, dass etwas Hässliches passieren würde, denn es passierte immer etwas Hässliches.
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Das ist doch schon so lange her.«
    »Für mich nicht.«
    Sie war zwölf Jahre alt, es war ihre dritte Schule in diesem Jahr. Sie war im Biologieunterricht der siebten Klasse und bastelte das Modell einer Zelle. Sie hatte gerade zwei Plastikbeutel ineinandergesteckt und schüttete Sirup in einen Beutel, um die Zellmembrane und das Zellplasma darzustellen.
    Ricky Mellen war ihr Laborpartner, und sie konnte seinen Jungenschweiß, gemischt mit etwas, das sie später als Aftershave identifizierte, riechen. Ricky roch stark danach. Er hielt die Gefrierbeutel weit auf, während sie vorsichtig die Flüssigkeit hineingoss.
    Sein Haar war mit Gel nach oben frisiert, sodass es an frisch gemähtes Gras erinnerte. In letzter Sekunde hatte er sie zum Lachen gebracht, weil er heimlich die Weingummiwürmer und drei Schokoladenerdnüsse gegessen hatte, die Teil ihres »Lagers« gewesen waren, um verschiedene Organelle einer Zelle darzustellen. Er hatte ihr erklärt, dass die Überbevölkerung von Organellen ein ernsthaftes Problem war, vor allem bei Aminosäuren und Mitochondrien.
    Er hatte keine Ahnung, wovon er da redete und sprach alles
falsch aus; Grace hatte das Buch von vorn bis hinten in dem Motel gelesen, in dem sie wohnten; aber er war niedlich, und sie bemerkte, dass er in einer zaghaften, atemberaubenden Art flirtete. Mit ihr.
    Grace, die Neue ohne Perspektiven, die lügen musste, wenn man sie fragte, wo sie ihre Nacht verbracht hatte. Er bot ihr ein Gummibärchen an, und sie nahm es.
    Dann wurde die Tür geöffnet, und Mrs. Caltrier aus der Schulverwaltung, die immer Rosa trug, steckte den Kopf durch die Tür. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein todtrauriges Lächeln ab. Hinter ihr stand eine Frau, die Grace nicht erkannte. Und ihr Bruder Andy. Er weinte.
    Grace ließ den Beutel fallen und rannte los. »Geht es um Mom? Geht es um meine Mutter?« Ihre Stimme klang schrill. Köpfe drehten sich, und in der Klasse herrschte plötzlich Totenstille.
    »Das ist Mrs. Altheria, Grace.« Mrs. Caltriers Stimme war klar und schallte bis in die letzte schmierige Laborecke, über den Spielplatz und wahrscheinlich bis zum Mars und zurück. Auf jeden Fall drang die Stimme bis in die tiefsten Abgründe von Graces Herz.
    »Sie ist von der Jugendfürsorge. Sie ist hier, um zu helfen.« Wenn Grace das beschreiben sollte, was am schlimmsten für sie war, wäre sie in arge Bedrängnis gekommen.
    Zum einen war da die zeitweilige Trennung von Andy. Dann das Pflegeheim, in dem das Mädchen über ihr im Stockbett jede Nacht ins Bett machte. Sie wurde von der Schule genommen. Kurz darauf musste sie wieder auf genau dieselbe Schule gehen. Ricky, der sie peinlich berührt ansah. Ihr Geburtstag wurde vergessen. Beim Mittagessen saß sie allein da. Und sie saß auch allein im Bus. Und war allein in der Pause. Im Unterricht. Nach dem Unterricht. Eine ständig nagende Scham, anders zu sein und niemanden zu haben.

    Ein Einzelgänger zu sein.
    Dann klopfte eines Nachts ihre Mutter ans Fenster des Pflegeheims. Die geflüsterte Diskussion durch die Scheibe. Grace, die zur Schule ging und dann mit dem Schatten verschmolz, in der brütenden Hitze wartete, bis das klapprige Auto ihrer Mutter quietschend zum Stehen kam und die Tür

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