Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
zurück und massierte ihre Stirn. Vielleicht hatte Aldís gar nichts mit Karítas’ möglichem Tod zu tun. Laut Karítas’ Mutter hätte ihre Tochter durchaus in Lissabon sein können, als die Mannschaft dorthingekommen war. Vielleicht hatte sie eine Auseinandersetzung mit einem der Männer gehabt, weil er ihr den Zugang zur Yacht verwehrt hatte, oder einfach nur, weil sie meinte, die Yacht würde ihr und ihrem Mann noch gehören. Man konnte sich leicht ausmalen, wie ein solcher Streit enden konnte. Und was dann? Waren Ægir, Lára und die Zwillinge dahintergekommen? Hatten sie den oder die Täter auf frischer Tat ertappt, als die Leiche über Bord geworfen werden sollte? Und hatte das dazu geführt, dass ihnen dasselbe Schicksal widerfahren war? Dóra konnte sich das einfach nicht vorstellen. So weit würde doch niemand gehen.
Dieser Fall war einfach unerträglich.
23. Kapitel
»Ich weiß nicht, ob es was bringt, aber wir sollten es dennoch versuchen.«
Þráinn war total übermüdet, aber seine Stimme klang immer noch imposant. Ægir dachte darüber nach, wie es wohl war, Kapitän zu sein und die Befehlsgewalt an Bord zu haben – wie eine Art Diktator in einem winzigen Land.
»Es gibt keine andere Erklärung. Wir finden das Schwein und fahren dann nach Hause«, sagte Halli atemlos. Er war heilfroh, dass sein Vorschlag, den blinden Passagier zu überwältigen, positiv aufgenommen worden war. Verständlicherweise, denn er war am verdächtigsten und wollte, dass alle zusammenhielten. Sonst stünde er ganz alleine da. Doch diese neue Solidarität hing davon ab, ob sie den blinden Passagier, der die Leiche über Bord geworfen und Loftur ermordet hatte, fänden. Halli beteuerte hartnäckig und ziemlich überzeugend seine Unschuld, ebenso wie Þráinn, und Ægir konnte nur hoffen, dass er ebenso überzeugend klang, wenn es um ihn und Lára ging. Er hatte mit keinem Wort erwähnt, dass Lára und die Kinder geschlafen hatten und er ungefähr eine Stunde wach im Bett gelegen hatte. Sonst säße er in derselben Klemme wie Halli und müsste Þráinn fieberhaft von seiner Unschuld überzeugen.
»Wie sollen wir das angehen?«, fragte Ægir.
Bei der Vorstellung, alleine durch die Gänge zu streifen, in sämtliche Ecken zu spähen und Gefahr zu laufen, dass sich dieser Schuft hinter der nächsten Tür verbarg – sei es nun Halli, Þráinn oder dieser imaginäre blinde Passagier –, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Ægir hatte zwar eher Halli in Verdacht, konnte Þráinn aber nicht ausschließen, denn niemand traute sich zu, den Zeitpunkt von Lofturs Tod einzugrenzen. Sowohl Þráinn als auch Halli waren fast den ganzen Nachmittag alleine gewesen, und es ließ sich unmöglich feststellen, ob sie die Wahrheit sagten. Þráinn blieb ganz ruhig, und Halli war furchtbar nervös, aber Ægir konnte nicht sagen, welches Verhalten für einen Unschuldigen normaler war. In dieser Situation war wohl gar nichts mehr normal oder unnormal. Ægir stand unter Schock und musste immer wieder hysterisch auflachen, seit er den toten Loftur gesehen hatte.
Sie waren zu dritt zum Whirlpool gegangen, der unter der gepolsterten Abdeckung dampfte, und hatten dort eine Weile wie angewurzelt gestanden, bis Þráinn ihn aufgedeckt hatte. Ægir und Halli waren nicht näher herangegangen und hatten keinen Finger gerührt, um dem Kapitän zu helfen, der sich mit der schweren, steifen Abdeckung abmühte. Als sie endlich weg war und die Männer Loftur anstarrten, der vollständig bekleidet mit starrenden Augen und offenem Mund im heißen Wasser lag, hatte niemand etwas gesagt. Unzählige silbrige Luftblasen hafteten in seinem Haar, und er sah aus, als trage er einen mädchenhaften Kopfschmuck, der sein totes Gesicht noch abstoßender machte. Es würde lange dauern, bis Ægir wieder in einen Whirlpool steigen könnte, nachdem er in Lofturs gebrochene Augen geschaut hatte. Der Anblick, wie ihm das Wasser aus Nase und Ohren gelaufen war, als sie ihn herausgehievt und auf den Rücken gelegt hatten, war schrecklich.
»Ich glaube, ich will zu meiner Familie«, sagte Ægir.
»Wir drei bleiben zusammen. Es gibt keine andere Möglichkeit«, erwiderte Þráinn bestimmt, obwohl er ein Gähnen unterdrücken musste. »Deine Frau und deine Töchter bleiben solange hier auf der Brücke. Man kann sie von innen abschließen, außerdem haben alle Türen Fenster, so dass sie sehen können, wenn jemand rein will.«
»Was hilft es ihnen, den Kerl zu
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