Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
deplatziert.
»Psst!« Dóra schnitt eine Grimasse. »Vielleicht hört sie uns.«
»Willst du mich verarschen?«, tönte Bella, während sie sich umschaute. »Bei diesem Sturm kann selbst ich dich kaum hören, und du stehst direkt neben mir.«
»Trotzdem.«
Dóra wollte Bella bitten, ihre Zunge im Zaum zu halten, sobald sie im Haus wären, ließ es aber bleiben. Es würde ohnehin nichts bringen. Sie hoffte nur, dass es kein Fehler gewesen war, sie mitzunehmen. Karítas und Bella waren in der Schule in derselben Jahrgangsstufe gewesen. Das hatte Bella auf der Yacht erwähnt, als Dóra Karítas noch für unwichtig gehalten hatte. Doch nachdem sie die Unterlagen des Auflösungsausschusses gelesen und das Blatt mit Karítas’ Namen entdeckt hatte, hatte sie Bella nach ihrer Bekanntschaft mit Karítas gefragt und erst mal eine Standpauke über sich ergehen lassen müssen, sie seien weder Freunde noch Bekannte gewesen. Nur in derselben Jahrgangsstufe. Doch dann hatte sich Bella wieder beruhigt.
Sie erinnerte sich gut an Karítas, zumal sie das beliebteste Mädchen der Schule gewesen war, was nicht überraschte. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass Bella und sie nicht in derselben Clique gewesen waren. Karítas war mit den Coolen befreundet und Bella mit den Losern. Wobei Bella natürlich ein anderes Wort für ihre Freunde benutzte.
»Glaubst du, dass ihre Mutter sich an dich erinnert?«, fragte Dóra.
Sie gingen durch das schmiedeeiserne Tor, das viel zu stark verziert und zu auffällig war, um nach Island zu gehören. Dahinter führte ein gefliester Weg hinunter zum Haus, das direkt am Meer lag.
»Nee, wahrscheinlich nicht. Sie will bestimmt nichts mehr von früher wissen. Da hatte sie noch kein so schickes Haus. Da wohnte sie nämlich mit ihrer Tochter in einer kleinen Wohnung in einem Hochhaus, vielleicht sogar einer Sozialwohnung. Und die Alte arbeitete im Kiosk an der Ecke.«
»Da hat sie sich ja offensichtlich stark verbessert«, flüsterte Dóra, denn sie waren vor der Haustür angelangt. »Vergiss nicht, beiläufig zu erwähnen, dass du ihre Tochter kennst. Und sag nichts Schlechtes über sie. Tu so, als seist du ihr größter Fan gewesen.«
Bella schnaubte, protestierte aber nicht. Rechts und links neben der Haustür standen riesige weiße Blumenkübel aus Beton. Ausgedörrte Sommerblumenreste vom letzten Jahr ragten aus der trockenen Erde und zitterten im Wind. Zwei Löwen hätten besser zum Stil des Hauses gepasst. Dóra klingelte und fügte noch hinzu:
»Sonst darfst du nie mehr mitkommen, noch nicht mal mit Altpapier zur Aktenvernichtung.«
»Soll das eine Drohung sein?«
Dóra konnte nicht mehr antworten, denn die Tür ging auf und eine Frau, augenscheinlich Karítas’ Mutter, begrüßte sie.
»Oh, kommen Sie schnell rein. Es zieht so, sonst fliegt mir hier alles durchs Haus.«
Sie winkte sie mit ihrer sonnengebräunten, runzeligen Hand, an der jede Menge Ringe steckten, herein. Die Ringe sahen unecht aus, aber Dóra konnte das nicht wirklich beurteilen, denn sie hatte nicht viel für Schmuck übrig.
»Ich habe gerade unten am Fenster geraucht, als Sie geklingelt haben. Aber kommen Sie rein, kommen Sie rein.«
Dóra und Bella zogen schnell die Tür hinter sich zu. Dann standen die drei Frauen in dem vergleichsweise kleinen Vorraum, in dem man kaum seine Jacke ausziehen konnte, ohne der Dame des Hauses einen Arm ins Gesicht zu rammen, wovor Dóra große Angst hatte. Ein unglücklicher Anfang konnte alles zunichte machen.
»Was für ein schönes Haus«, sagte Dóra, während sie hinter der Frau in den eigentlichen Wohnbereich ging. Er war zwar nicht nach ihrem Geschmack eingerichtet, aber manche Leute hielten Vergoldungen und Plüsch ja für den Höhepunkt guten Geschmacks. Im Flur und im Wohnzimmer wimmelte es von Beistelltischchen, Vasen, Bildern, Regalen und Deckchen, und Dóra hatte Mitleid mit demjenigen, der das alles abstauben musste. Was allerdings dringend nötig gewesen wäre. Sie bemühte sich, die Oberflächen nicht allzu lange anzustarren, um nicht unhöflich zu wirken. Vielleicht hatte die Haushaltshilfe ja aufgehört – nicht unwahrscheinlich, falls das Auskommen der Mutter vom Wohlstand ihrer Tochter abhängig war.
»Bitte setzen Sie sich. Ich hole Kaffee.« Die Frau ging aus dem Wohnzimmer, und Dóra und Bella schauten sich um. Dóra konnte ihrer Sekretärin am Gesicht ablesen, dass ihr die Möbel und Staubfänger auch nicht gefielen. Bella runzelte sogar leicht die
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