Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
den Männern vor deren Verschwinden fand. Oder hatte die Polizei auf der isländischen Yacht auch so etwas gefunden? Mindestens einer musste doch eine Kamera oder ein Fotohandy dabeigehabt haben. Dóra musste das unbedingt überprüfen. Der Film von der Kaz II konnte die Ereignisse zwar nicht erklären, aber vielleicht war das bei der Lady K anders.
Bei den Geschichten, die Dóras Fall am Nächsten kamen, ging es um Personen, die von Kreuzfahrtschiffen verschwunden und nie mehr gefunden worden waren. Das geschah etwa zehnmal im Jahr – angesichts der großen Zahl von Menschen, die auf Luxuslinern über die Weltmeere fuhren, nicht besonders oft. Leider gingen die Angehörigen oft leer aus, wenn die Lebensversicherung des Verschollenen ausbezahlt werden sollte. Die Versicherungen argumentierten, der Tod des Versicherten sei nicht eindeutig nachzuweisen, was vor Gericht auszureichen schien, zumindest im Ausland. Das verhieß nichts Gutes für Ægirs Eltern. Wobei es in diesem Fall ja nicht nur um eine Person ging. Es war ziemlich unwahrscheinlich, dass sich sieben Personen gemeinsam absetzten, um irgendwo ein neues Leben zu beginnen. Außerdem war die Yacht fast die ganze Zeit weit vom Festland entfernt gewesen – undenkbar, dass die Leute überlebt hatten, falls sie von Bord gesprungen waren. Kreuzfahrtschiffe blieben hingegen meist in Küstennähe.
»Wann triffst du dieses ältere Ehepaar wegen der Versicherungssache?«, fragte Bragi. Er trat zu Dóra, die an der Kaffeemaschine stand und sich die zweite Tasse des Morgens genehmigte.
»Um zwei. Warum fragst du?« Dóra goss sich Milch ein.
»Ach, ich wollte dich bitten, dir einen Briefwechsel anzuschauen, in einem Fall, der wahrscheinlich vor Gericht kommt. Vielleicht siehst du ja einen Weg, wie man die Parteien beschwichtigen kann. Ich bin völlig ratlos und brauche deine Hilfe.« Bragi schenkte sich Kaffee ein. »Ich hätte dir eine Kopie gemacht, aber … tja, ich muss mir das heute Mittag selbst noch mal anschauen.«
»Ich sehe es mir direkt an.«
Bragi nickte zufrieden und fragte:
»Weißt du, wann wir den Kopierer zurückbekommen? Das ist wirklich unerträglich. Ich wäre fast in den Schreibwarenladen gegangen, um Matrizenpapier zu kaufen, aber dann fiel mir ein, dass das wohl mit einem Drucker nicht funktioniert.«
»Bist du schon mal auf die Idee gekommen, einfach zwei Exemplare auszudrucken?«, fragte Dóra grinsend und trank einen Schluck Kaffee. »Aber ich stimme dir zu, das ist wirklich unerträglich. Ich checke es mal. Lass Bella doch einfach in der Zwischenzeit für dich zum Copy-Shop gehen. Sie hat es nicht anders verdient, es ist nämlich ihre Schuld. Schick sie am besten jedes Mal mit einer Seite.«
Dóra ging in ihr Büro, um bei der Werkstatt anzurufen. Als sie den Hörer in der Hand hielt, beschloss sie – trotz Matthias’ Pessimismus –, es einfach mal bei Karítas’ Eltern zu versuchen. Probieren schadete ja nichts.
Bella knallte die Tür so fest zu, dass Dóra Angst hatte, der Wagen würde auseinanderfallen. Draußen war es immer noch kalt, in den Frühnachrichten war von Schneefall im Norden des Landes die Rede gewesen, und trotzdem stand der Frühling angeblich vor der Tür. Dóra hatte mit einem tollen Winter und einem zeitigen Frühling gerechnet, ohne eine meteorologische oder hellseherische Grundlage dafür zu haben. Doch der bitterkalte Wind, der ihre Haare in alle Richtungen abstehen ließ, erinnerte sie wieder einmal daran, wie falsch sie gelegen hatte. Dóra konnte so gut wie nichts sehen, schaffte es aber mit einigen Mühen, ihre Mütze aufzusetzen, und die Sicht wurde besser. Sie standen vor dem Haus von Karítas’ Mutter im Stadtteil Arnarnes, nachdem sie es auf wundersam leichte Weise geschafft hatten, sich mit ihr zu verabreden. Dóra hatte ihren Namen und ihre Telefonnummer im Internet gefunden und einfach angerufen. Karítas’ Vater, der mit Vornamen Karl hieß, war nicht unter dieser Nummer registriert. Vielleicht hatten sich die Eltern scheiden lassen, oder der Vater war verstorben. Jedenfalls schien die Mutter so einsam zu sein, dass ein Gespräch über die Yacht mit einer Anwältin eine willkommene Abwechslung für sie war.
»Mann, was für ein beknacktes Haus!«
Der Wind konnte Bella immer noch nichts anhaben, sie stand unerschütterlich auf dem Bürgersteig und glotzte die Villa an. Sie war im spanischen Stil, und Dóra musste Bella zustimmen: Bei diesem Wetter wirkte das völlig
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