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Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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und den Container aus der Nähe unter die Lupe zu nehmen. Das Deck kam Ægir im Vergleich mit einem kleinen Boot auf den hohen Wellen wie ein gepolstertes Zimmer vor. Er spürte, dass die Tablette ihm noch im Hals steckte und kämpfte damit, sie runterzuschlucken.
    Þráinn schüttelte den Kopf und schwieg. Halli trat von einem Bein aufs andere und entgegnete:
    »Ich glaube, von Deck aus können wir jedenfalls nichts mehr tun. Auch nicht bei besserem Wetter.« Er schlug leicht mit dem Stecken gegen die Reling. »Sollen wir nicht lieber reingehen? Ich checke den Maschinenraum und den Frachtraum. Wenn da alles in Ordnung ist, ist es keine so schlechte Idee, einfach loszufahren.«
    Ægir wurde vom Wind geschüttelt und konnte die beiden Männer vor sich kaum mehr sehen. Der Sturm hatte sich verstärkt, und die Tropfen, die ihm ins Gesicht klatschten, waren eine Mischung aus Regen und Hagel. Er drehte den Rücken in den Wind und schaute plötzlich in das zierliche Gesicht seiner Tochter, die ihn durch das Bullauge anstarrte. Es war voller Tropfen, und er erkannte nicht direkt, welcher Zwilling es war – Arna oder Bylgja ohne ihre Brille. Auch der Gesichtsausdruck war fremd, trauriger als bei einem Kind üblich. Vielleicht waren es nur die Wasserstreifen, die das Gesicht verzerrten, hoffentlich nicht der Anblick ihres Vaters an Deck, der ihr Angst einjagte. Sein Herz wurde schwer, und das bisschen Waghalsigkeit, an dem er sich festgehalten hatte, schwand.
    »Ich will rein«, sagte er mit einem Ton in der Stimme, der weder wütend noch erregt war, sondern einfach nur sachlich. Der Wind fegte ihm die Mütze vom Kopf, Wasser tropfte in seinen Kragen und floss kalt an seinem Rücken herunter. Die Kälte beschwor wieder Bilder von der schlanken Hand in der Kühltruhe in seinem Kopf herauf, und er war völlig erschöpft.
    »Ich kann nicht mehr.«
    Seine Worte drangen zu Þráinn durch, wobei er vielleicht ohnehin hatte reingehen wollen. Sie hakten die Rettungsleinen aus und räumten die Ausrüstung schweigend wieder ein, zu müde, um gegen den Wind anzuschreien. Als sie wieder in der Abstellkammer waren, in der die Regenklamotten aufbewahrt wurden, ergriff Halli als Erster das Wort. Die Stille dort drinnen war nach dem brüllenden Sturm an Deck wie in einer Kirche.
    »Ich glaube, mein Overall ist von innen nässer als von außen.« Halli hatte Schwierigkeiten, die an seiner Jeans klebenden Hosenbeine über die Füße zu ziehen. »Keine Ahnung, wie ich das hingekriegt habe.«
    »Das ist Scheißmaterial. Völlig zwecklos bei diesen Verhältnissen.« Þráinn schlug seine Jacke aus und hängte sie auf. »Ihr hättet besser so ein Ding angezogen.«
    Er zog am Bein eines Taucheranzugs, der an einem Haken hing. Darunter stand eine Sauerstoffflasche mit Maske und Taucherweste.
    »Dann hättet ihr auch keine Rettungsleinen gebraucht«, fügte er hinzu.
    »Nee, danke.« Halli schnitt eine Grimasse. »Das würde ich nie ausprobieren. Unter Wasser zu atmen, ist was völlig Unnatürliches.«
    »Ich auch nicht.« Þráinns Stimme klang wieder so matt und heiser wie beim Frühstück. »Hab noch nie verstanden, wie man so was machen kann.«
    Ægir hörte auf, die Wasserflecken von seinen Ärmeln zu streichen. Endlich etwas, bei dem er mehr Mut hatte als sie.
    »Ich bin schon mal getaucht. Hab sogar einen Tauchschein.«
    Er erzählte ihnen nicht, dass es sich um eine Grundstufe für Anfänger handelte, bei der man nicht viel mehr können musste, als unter Wasser Luft abzulassen.
    »Du kannst tauchen?«, fragte Þráinn und schaute Ægir vielsagend an. Halli glotzte ebenfalls, tauschte einen Blick mit dem Kapitän und grinste.
    »Äh, ja«, sagte Ægir zögernd.
    Glaubten sie ihm etwa nicht? War er in ihren Augen ein solcher Versager, dass sie ihm zutrauten, etwas zu erfinden, um sie zu beeindrucken?
    »Ich hab es vor ein paar Jahren im Urlaub gelernt.«
    »Wäre es da nicht an der Zeit, mal im richtigen Meer zu tauchen?«, sagte Þráinn und stieß mit dem Zeh gegen die Sauerstoffflasche. »Von oben können wir nicht sehen, was mit diesem Container los ist. Von unten wäre es hingegen kein Problem. Was meinst du? Es würde nur ein paar Minuten dauern.«
    Wieder spürte Ægir die Tablette, die immer noch in seinem trockenen Hals brannte. Was war er nur für ein verdammter Idiot? Das Letzte, wozu er Lust hatte, war, in dieses graue, aufgepeitschte Wasser zu springen, das absolut nichts mit dem Meer gemein hatte, in dem er getaucht war. Das war

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