Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
Richtung. Dóra wusste nicht, wie oft sie diese Worte schon gehört hatte, doch erst jetzt wurde ihr bewusst, welche Bedeutung sie für die Seefahrt hatten. Sie sah Wellen gegen einen Bug schlagen, Brandung aufwogen und dachte an die Menschen, die jetzt durch ferne Gewässer fuhren. In ihr schlummerte jedenfalls kein heimlicher Seemann.
»Bieg hier ab«, sagte sie und wies Matthias den Weg zur Hafenmole. »Er wollte uns bei der Yacht treffen.«
Sie schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Sie waren ziemlich früh.
»Wir parken und warten hier auf ihn. Er braucht bestimmt Hilfe, um an Bord zu kommen. Wir gehen besser zusammen.«
»Das Schloss kann ja nicht viel hermachen, wenn da jemand eingebrochen ist«, sagte Matthias und parkte rückwärts ein, damit sie den Hafen überblicken konnten. »Es zieht Einbrecher ja buchstäblich an, wenn das Schiff am Wochenende unbewacht im Hafen liegt.«
Fannar vom Auflösungsausschuss hatte Dóra angerufen und ihr erzählt, dass der Hafenwärter einen nächtlichen Einbruch auf der Yacht gemeldet hatte. Die Polizei hatte ihre Untersuchungen schon beendet und nicht feststellen können, dass etwas entwendet oder beschädigt worden war. Nachdem Fannar sich von der Lage überzeugt hatte, kam er zum selben Schluss, aber er hatte besorgt geklungen. Dóra war froh, dass er sie informiert hatte, und noch froher, dass er ihr die Schlüssel angeboten hatte, falls sie sich die Sache selbst anschauen wolle. Sie nahm das Angebot sofort an und fragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn sie Snævar mitnähme, das Besatzungsmitglied, das in Lissabon verunglückt sei. Vielleicht würde er ja etwas bemerken, das Fremde leicht übersehen könnten. Nach kurzer Bedenkzeit hatte Fannar zugestimmt.
»Glaubst du, dass es okay ist, wenn ich dabei bin?«, fragte Matthias. Die regennasse Frontscheibe verzerrte die Yacht, und es sah aus, als pulsiere sie.
»Natürlich, du bist doch mein Assistent.« Dóra schaltete die Scheibenwischer ein. »Außerdem kannst du Snævar stützen. Ich vergesse so was immer und würde ihn wahrscheinlich bei der erstbesten Gelegenheit irgendwo stehen lassen.«
Die Fensterscheibe beschlug, und Dóra bat Matthias, das Gebläse einzuschalten, als Snævar in einem ziemlich schäbigen Auto angefahren kam. Es war sowohl in die Jahre gekommen als auch schlecht gepflegt.
»Ich dachte, Seeleute würden gut bezahlt«, sagte Matthias mit missbilligendem Gesichtsausdruck. Der Wagen war mit Dellen übersät, in denen teilweise der Rost durchschien.
»Vielleicht ist er Rallyefahrer.«
»Nee, glaube ich nicht.« Matthias’ Gesichtsausdruck blieb unverändert. »Rallyeautos sind robuster. Das ist eine Schrottkarre. Eine verbeulte Schrottkarre. Mit der würde er keine hundert Meter über die Startlinie hinauskommen.«
»Psst, sonst hört er dich noch.«
Dóra beobachtete, wie Snævar die Wagentür aufmachte und hinausstolperte, nachdem er umständlich eine Plastiktüte über seinen Gips gezogen hatte. Dann gingen sie gemeinsam zur Yacht und blieben vor ihr stehen, während Dóra die Schlüssel suchte. Plötzlich schoss ihr durch den Kopf, wie schlecht das alles zusammenpasste: eine Yacht und prasselnder Regen. Es wäre passender gewesen, wenn das Schiff abgedeckt wäre. Das absurde Gefühl ließ nicht nach, als sie das Luxusgefährt betraten. Snævar hatte das Licht noch nicht eingeschaltet, und das Halbdunkel minderte die Pracht: die Hochglanzeinrichtung sah matt aus, und über allem lag Staub. Dóra schaute sich um und stellte sich vor, wie es wohl war, tagelang in diesen Räumen eingesperrt zu sein. Es gab zwar im Vergleich zu anderen Yachten übermäßig viel Platz, aber dennoch war die Bewegungsfreiheit begrenzt. Sich längere Zeit dort aufzuhalten war vielleicht so ähnlich, wie in einer kleinen Burg eingesperrt zu sein.
»Macht es wirklich Spaß, auf so einer Yacht zu sein?«
Snævar schien Dóras Frage nicht richtig zu verstehen.
»Ja, ja, bestimmt. Ich weiß zwar nicht, wie es als Passagier ist, aber es macht auf jeden Fall Spaß, sie zu fahren. Wahrscheinlich ist es am wichtigsten, dass man Spaß an der Seefahrt hat.«
»Sie haben gesagt, dass sich die Mannschaft nicht unter die Passagiere mischt, aber wo hält sie sich dann auf? Gibt es ein spezielles Deck, an dem sich die Angestellten sonnen können?«, fragte Dóra und versuchte, sich zu erinnern, wie viele Decks es auf der Yacht gab. Jedenfalls mehr als zwei, vielleicht hatte die Mannschaft ein eigenes.
Snævar lachte
Weitere Kostenlose Bücher