Todesschrei
»Dabei lief sie bis vorhin einwandfrei. Jetzt stottert und spuckt sie bloß, wenn ich sie starten will.«
»Oh, Mist.« Marta biss sich auf die Lippen. »Aber Sie haben noch genug im Tank, oder? Neulich ist mein Wagen nicht angesprungen, weil ich kein Benzin mehr hatte.« Sophie hätte am liebsten die Augen verdreht, aber sie beherrschte sich. Marta wollte ja nur helfen. »Ich habe heute Morgen getankt.«
»Was ist los?« Spandan hatte sich zu ihnen gesellt und mit ihm die meisten Teilnehmer ihres Seminars am Dienstagabend. Dieses Semester lehrte sie vor einer vollen Klasse »Grundlagen der Ausgrabungstechnik«, und gewöhnlich blieb sie nach der Stunde noch, um Fragen zu beantworten. Heute aber war sie förmlich geflohen. Vito wartete bei Peppi's Pizza auf sie, und sie hatte den ganzen Abend nur an den Kuss denken können.
»Mein Motorrad springt nicht an, und ich muss weg.« Marta sah sie interessiert an. »Sind Sie verabredet?« Nun verdrehte Sophie tatsächlich die Augen. »Wenn ich nicht bald losfahre, nicht mehr.«
Die Tür hinter ihnen öffnete sich wieder, und John fuhr die Rollstuhlrampe herunter. »Was ist denn?«
»Dr. Js Bike zickt, und sie kommt zu spät zu ihrem Date«, erklärte Bruce.
John lenkte den Rollstuhl um die kleine Menschenmenge herum und beugte sich vor, um den Motor zu betrachten. »Zucker.« Er tippte mit einem behandschuhten Finger an den Tank.
»Was?« Sophie sah nach und erkannte augenblicklich, dass John recht hatte. Um die Tanköffnung glitzerten Zuckerkristalle im Licht der Straßenlaterne. »Verdammt«, zischte sie. »Ich schwöre zu Gott, das wird dieses Weib büßen.«
»Sie wissen, wer das getan hat?«, fragte Marta erstaunt. Dass Amanda Brewster ihre Finger im Spiel hatte, war beinahe sicher. »Ich habe so eine Ahnung, ja.« Bruce hatte sein Handy gezückt. »Ich rufe die Campus-Security an.«
»Jetzt nicht. Ich werde aber Anzeige erstatten, keine Sorge«, fügte sie hinzu, als Spandan widersprechen wollte. Sie löste ihren Rucksack vom Sattel. »Aber ich will jetzt nicht auf die Leute warten müssen. Ich bin wirklich schon spät dran. Und zu Fuß brauche ich eine gute Viertelstunde.«
»Ich fahre Sie«, sagte John. »Da drüben steht mein Van.« Sophie schüttelte den Kopf. »Danke, aber ich gehe lieber zu Fuß.«
John hob das Kinn. »Ich bin ein guter Autofahrer. In dem Wagen funktioniert alles per Hand.«
Sie hatte ihn beleidigt. »Darum geht es nicht«, sagte sie hastig. »Es ist nur so ... na ja, ich bin Ihre Lehrerin. Ich will keinen Anlass für Ärger bieten.«
Er warf ihr durch das Haar, das ihm wie immer über die Augen hing, einen Blick zu. »Ich fahre Sie nur, Dr. J. Ich will Sie nicht heiraten.« Ein Mundwinkel zuckte. »Sie sind gar nicht mein Typ.«
Sie lachte. »Okay, danke. Ich will zu Peppi's Pizza.« Sie winkte den anderen zu. »Wir sehen uns am Sonntag.« Dann ging sie neben dem Rollstuhl her, bis sie Johns weißen Van erreicht hatten.
Er schloss die Tür auf, aktivierte den Lift und schwang sich geschickt auf den Fahrersitz.
Als er sah, dass sie ihn beobachtete, presste er die Kiefer zusammen. »Ich habe eben Übung darin.« »Seit wann sitzen Sie im Rollstuhl?«
»Seit ich klein war.« Sein Tonfall war knapp. Sie war ihm schon wieder auf die Zehen getreten. Er schwieg, während er vom Parkplatz fuhr.
Sophie hatte keine Ahnung, wie sie reagieren sollte, und schnitt ein Thema an, von dem sie hoffte, dass es unverfänglich war. »Sie sind erst spät ins Seminar gekommen. Ist alles in Ordnung?«
»Ich bin in der Bibliothek hängengeblieben. Ich wäre fast gar nicht gekommen, aber ich musste Sie unbedingt etwas fragen. Eben wollte ich sie abpassen, aber Sie sind ja sofort hinausgestürmt.«
»Das heißt, Ihr Angebot, mich zu fahren, war gar nicht so uneigennützig.« Sie lächelte. »Also - worum geht's?« Er erwiderte das Lächeln nicht, aber er lächelte ohnehin selten. »Ich muss bis morgen einen Aufsatz für einen anderen Kurs schreiben. Ich bin auch fast fertig, aber mir fehlen noch Informationen zu einer bestimmten Sache.« »Und um was für ein Thema handelt es sich?« »Ein Vergleich zwischen modernen und mittelalterlichen Theorien zu Verbrechen und Strafe.« Sophie nickte. »Also für Dr. Jacksons Seminar über mittelalterliche Rechtsprechung. Und was wollen Sie mich fragen?«
»Ich wollte das mittelalterliche Brandmarken mit der heutigen Praxis, Sexualtäter zu registrieren, vergleichen. Aber ich konnte keine vernünftigen
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