Todesschrei
entschuldigen. Ich wünschte, ich könnte das auch.«
Sie rieb sich die Augen, streckte sich und war aus seinem Truck gestiegen, bevor er ihr noch helfen konnte. Wenigstens die Koffer konnte er ihr abnehmen. »Gehen Sie vor und schließen Sie auf. Ich trage die Sachen hinein.« Müde ließ sie die Schultern hängen. »Normalerweise habe ich keine Probleme damit, das selbst zu machen, aber heute Abend bin ich Ihnen dankbar.« Er folgte ihr zur Tür und dachte unweigerlich an den Moment am Nachmittag. Ihre Hände mühten sich mit dem Schlüssel ab, und er hoffte, dass auch sie sich erinnerte, aber sie öffnete die Tür schließlich ohne Probleme. Innen schaltete sie das Licht an. »Stellen Sie die Koffer ruhig hier ab. Ich bringe sie gleich hinunter.«
»Sagen Sie mir einfach, wohin ich sie tragen soll, Sophie«, sagte er, »und dann hole ich die beiden anderen.«
Es bestand ein schmaler Grat zwischen Unabhängigkeit und Starrköpfigkeit, dachte Vito, als er zum Auto zurückkehrte, um die beiden großen Koffer zu holen. Anscheinend bewegte Sophie Johannsen sich sehr geschickt auf diesem Grat, obwohl er den Verdacht hatte, dass es aus reiner Erschöpfung geschah. Sie hatte ihm erlaubt, die zwei kleinen Koffer in einen Kellerraum zu bringen, hatte aber darauf bestanden, die Ausrüstung
noch heute
zu reinigen.
Er hievte die zwei Koffer aus seinem Truck und stellte sie auf den Gehweg. Er hatte keine Ahnung, wie lange diese Reinigung dauern würde, aber der Campus war dunkel und wie ausgestorben, und er dachte nicht daran, sie hier allein zurückzulassen. Im Übrigen gab es schlimmere Schicksale, als Sophie Johannsen bei der Arbeit zuzusehen.
Er sah auf seine schlammverkrusteten Stiefel. Wenn er schon warten musste, konnte er es sich wenigstens bequemer machen. Er griff hinter seinen Sitz, tastete nach seinen Schuhen - und berührte wieder die Rosen. Diesmal stachen sie ihn wenigstens nicht.
Er hatte die Blumen für eine Frau gekauft, die er geliebt hatte. Sie war vor zwei Jahren gestorben. Exakt heute vor zwei Jahren. Er hatte zwei Jahre gewartet. Das musste doch lange genug sein. Aber ...
Vito seufzte. Er fühlte sich von Sophie Johannsen angezogen. Jeder Mann, der gesund und lebendig war, würde so empfinden. Aber es war nicht das Interesse, das ihm zu schaffen machte. Es war die Sehnsucht, die ihn heute den ganzen Tag nicht verlassen hatte - nicht auf dem Feld, nicht im Truck. Er hatte sie beim Arbeiten und Weinen beobachtet, und er wollte sie. Aber vielleicht lag diese plötzliche Sehnsucht nur darin begründet, dass es eben heute war. Er wollte es nicht glauben, aber Vito war ein vorsichtiger Mensch. Er hatte sich schon einmal zu schnell auf eine Beziehung eingelassen, und das Ergebnis war katastrophal gewesen. Er würde einen solchen Fehler kein zweites Mal begehen.
Vito warf die Rosen hinter den Beifahrersitz und wechselte die Stiefel gegen seine Schuhe. Er würde Sophie nach Hause fahren und sich in drei, vier Wochen wieder blicken lassen. Dann würde er ja sehen, ob er sie noch immer wollte. Falls ja - und falls sie dasselbe spürte -, dann würde ihn nichts zurückhalten können.
»Ich dachte schon, ich müsste eine Vermisstenanzeige aufgeben«, sagte sie, als er die zwei großen Koffer in den Kel1er brachte. Sie hatte sich über einen Arbeitstisch gebeugt und schrubbte ein Gerät mit einer Zahnbürste. »Das wird hier eine Weile dauern. Fahren Sie nach Hause, Vito. Ich komme klar.«
Vito schüttelte den Kopf. Er hatte sie schließlich ursprünglich hier abgeholt, weil sie keinen Wagen hatte. Sie fuhr Fahrrad, hatte Katherine gesagt. Und er würde sie garantiert nicht nach einem derart harten Tag mitten in der Nacht mit dem Rad nach Hause fahren lassen. »Keine Chance. Ich fahre Sie nach Hause. Das ist das Mindeste, was ich tun kann«, fügte er hinzu, als ihre Lippen sich trotzig zusammenpressten. Er versuchte eine andere Taktik. »Hören Sie, ich habe eine Schwester, und ich hoffe inständig, dass sie immer nach Hause gebracht wird.« Ihre grünen Augen verengten sich vorwurfsvoll, also gab er es einfach auf. »Ich bin müde. Ich will nicht mit Ihnen streiten. Bitte.« Sie glättete die Stirn und lachte leise. »Jetzt klingen Sie wie Katherine.«
Er dachte an die zornigen Worte, die die beiden heute Nachmittag ausgetauscht hatten, und daran, wie Katherine der jüngeren Frau danach zärtlich das Haar aus dem Gesicht gestrichen hatte. Ihre Beziehung war offensichtlich sehr eng. »Sie kennen sie also
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