Todesschuss - Ein Nathan-McBride-Thriller (German Edition)
dass sie in mancher Hinsicht härter zu knacken waren als Männer. Entgegen landläufiger Meinung war ein Verhör in erster Linie ein Psychospiel. Um Ergebnisse zu erzielen, musste man das Opfer psychisch kleinkriegen. So effektiv das Zufügen körperlicher Schmerzen auch sein mochte, war dies nicht die beste Methode – es sei denn, die Zeit drängte.
Nathan wünschte sich, eine weibliche Verhörspezialistin bei sich zu haben. Die pure Anwesenheit einer solchen Person, die bei einem Verhör teilnahmslos zusah, ohne Gefühle und Mitleid zu zeigen, konnte Wunder wirken, wenn es darum ging, den Widerstandeiner Frau zu brechen. Diese Methode erwies sich vor allem bei Männern als äußerst effektiv. Nathan war der Meinung, dass dies etwas mit dem Macho-Syndrom zu tun hatte. Männer hassten es, vor Frauen schwach und verwundbar zu erscheinen. Wie gesagt, ein Verhör war vor allem ein Psychospiel. Es dauerte normalerweise nicht lange, Informationen aus dem Opfer herauszuholen – es sei denn, die betreffende Person hatte einen Lehrgang in Verhörabwehrstrategien absolviert. Da dies bei Amber Sheldon unwahrscheinlich war, müsste er ein leichtes Spiel mit ihr haben.
Nathan gab Henning noch ein paar Minuten extra Zeit, bevor er bei ihm anklopfte.
»Die Tür ist nicht abgesperrt«, sagte Henning.
Nathan trat ein und ließ die Tür einen Spaltbreit offen. Henning saß an einem kleinen Schreibtisch und tippte auf seinem Laptop.
»Haben Sie etwas gefunden?«, fragte Nathan.
»Amber Sheldon verbüßt im Augenblick eine Bewährungsstrafe wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, Unruhestiftung und Trunkenheit am Steuer. Hier, sehen Sie selbst. Ich habe leider keinen Drucker.«
Nathan sah Henning über die Schulter, während dieser den Bildschirm herunterscrollte, bis das Farbfoto von Amber Sheldon erschien. Wie auf Polizeifotos üblich, blickte sie nicht gerade fröhlich drein. Sie hatte strähnige blonde Haare, blaue Augen und ein eingefallenes Gesicht mit finsterem Blick. Wahrscheinlich nahm sie Drogen. Sie sah ziemlich mitgenommen aus, wie jemand, der im Leben schon einiges durchgemacht hat. Das Foto war ein Jahr alt.
»Sie hat ein ziemlich langes Vorstrafenregister«, fuhr Henning fort. »Allerdings keine schweren Delikte. Wir haben ihre aktuelle Adresse, Telefonnummer und den Namen des Arbeitgebers. Sie wohnt in Fresno und arbeitet bei Pete’s Truck Palace. Schauen wir mal … Nach ihrer Verhaftung 2006 musste sie ihren Führerschein für ein halbes Jahr abgeben. Bei ihrer Vergangenheit und all dem Ärger, den sie im Laufe der Jahre mit der Polizei hatte, geheich nicht davon aus, dass sie uns mit offenen Armen empfängt. Ich schlage vor, wir rufen jetzt Holly Simpson an. Ich glaube, sie möchte, dass Sie während des Gesprächs anwesend sind.«
Henning nahm sein Handy und scrollte das Adressbuch herunter. Sobald er die gewünschte Nummer gefunden hatte, drückte er auf die Sendetaste. Nathan wartete.
»Hallo, Holly, wie geht es Ihnen? Ja, er ist hier.« Henning drückte eine Taste. »So, jetzt sind Sie auf Lautsprecher.«
»Hi, Nathan.«
Nathan setzte sich auf die Bettkante. »Hallo.« Er fragte nicht, wie sie sich fühlte – er wusste es bereits.
»Wie stehen die Dinge bei euch?«, fragte sie.
»Gut. Das Treffen mit dem Psychiater hat uns weitergeholfen.«
»Was hast du herausgefunden?«
Nathan ging mit ihr die wichtigsten Punkte durch und endete mit den Informationen, die sie über Amber Sheldon in der NCIC-Datenbank gefunden hatte.
»Sehr gut«, sagte Holly. »Fliegt ihr jetzt nach Fresno?«
Nathan gab Henning mit einem Nicken zu verstehen, dass er das Gespräch weiterführen sollte.
»Ja«, sagte Henning. »Wir nehmen uns dort einen Mietwagen. Das ist besser, als die lokale FBI-Dienststelle zu bitten, uns einen Fahrer zur Verfügung zu stellen. Ich möchte, dass so wenig Leute wie möglich über Nathan Bescheid wissen.«
»Lassen Sie das«, sagte Holly. »Der stellvertretende Special Agent in Charge, John Pallamary, ist ein guter Freund von mir. Wir waren zusammen auf der FBI-Akademie. Ich rufe ihn an.«
»Wir hoffen, dass wir in spätestens einer halben Stunde losfliegen können«, sagte Henning.
»Was haben Sie vor, wenn Sie dort sind?«
»Wir wissen, wo Sheldon wohnt, also fahren wir zu ihr und schauen, ob sie mit uns redet.«
»Lassen Sie Nathan machen, wenn sie nicht kooperiert. Verstanden?«
»Ja«, presste er hervor.
»Nathan, handle nach bestem Wissen und Gewissen, wenn du sie
Weitere Kostenlose Bücher