Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
Wohnung gezogen waren. Das war Mitte der Sechzigerjahre gewesen, er war damals noch ein kleiner Junge und erinnerte sich noch heute an den Geruch des Tapetenkleisters, den der Maler in seinem Eimer gehabt hatte, und an die Tapetenrollen. Die Blumen waren damals noch frisch und bunt gewesen, jetzt war die rote Farbe verblasst, aber damals war es ihm so vorgekommen, als hätten sie den Sommer zu Besuch. Jeden Tag. Er erinnerte sich, wie er mit seinem kleinen, roten Koffer Stunden im Flur verbracht und gespielt hatte, in seinem eigenen Garten zu sein.
»Mama?«
Er klopfte vorsichtig an die Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter. Keine Antwort. Er legte das Ohr an die Tür und lauschte. Leise hörte er ihren röchelnden Atem, durch ihr jahrelanges Rauchen rasselten die Lungen seiner Mutter auf diese ganz charakteristische Weise. Søren lächelte angesichts des Geräuschs. Dann lebte sie also, ein wenig noch. Er beschloss, sie schlafen zu lassen und selbst zu entscheiden, was sie brauchten, wenn er im Geschäft stand. Er schloss sorgfältig die Tür hinter sich und stieg langsam die Treppe hinunter.
Wenig später stand er unten auf dem Bürgersteig. Er blinzelte in die Sonne, und die Wärme überraschte ihn. Er war zu dick angezogen, ein Unterhemd und ein Hemd, zwar kurzärmlig, aber trotzdem, einen Anorak und eine dunkle Hose. Der Schweiß lief ihm langsam den Nacken hinunter, und er ging schnell die Straße entlang. Zwei kleine Mädchen kamen ihm entgegen, ganz in ihre Unterhaltung vertieft. Er blieb stehen und sah sie an, und augenblicklich verstummte ihr Gespräch, während sie ihn misstrauisch musterten, als sie an ihm vorbeigingen.
»Hallo«, sagte er versuchsweise und strich sich schnell mit der Hand durch das wassergekämmte, dunkle Haar, doch die Mädchen antworteten nicht, gingen einfach weiter. Das eine, das weniger hübsche, das mit den dünnen mausbraunen Zöpfen, drehte sich zu ihm um und streckte ihm schnell die Zunge heraus. Das blonde Mädchen ignorierte ihn einfach, und er spürte einen flüchtigen Schmerz im Bauch.
Er blickte ihnen noch immer nach. Sie hatten sich inzwischen ein gutes Stück von ihm entfernt, aber nicht so weit, dass er nicht sah, wie die mit den Zöpfen den Kopf zu ihm umdrehte und ihn ansah und der Blonden etwas zuflüsterte, woraufhin die sich sofort umsah und ihn anglotzte. Søren krümmte sich innerlich und spürte den Ärger unter der Haut kribbeln. Sie sollten ihn nicht ignorieren. Das sollten sie wirklich nicht.
—
Die Wärme ließ die Luft flirren, und Rebekka spürte, wie ihr der Schweiß am Körper hinunterlief. Sie sehnte sich zurück in das Sommerhaus ihrer Tante in Veddinge Bakker, das sie gerade geerbt hatte. Sie hatte zwar nur wenige Tage dort oben verbringen können, doch sie hatte sie in vollen Zügen genossen – die Hagebuttensträucher, den staubigen Weg, der zum Meer hinunterführte und mit herabgefallenen Tannenzapfen bedeckt war, das kühle, salzige Wasser, den Geruch von Tang und vor allem die Stille, so weit weg von dem Trubel und der Unruhe der Stadt. Sie würde das Sommerhaus nicht verkaufen, obwohl der Immobilienmakler vor Ort gemeint hatte, dass sie aufgrund seiner Lage, nur wenige Minuten vom Meer entfernt, einen guten Preis erzielen würde. Sie hatte beschlossen, so oft es sich einrichten ließ, dort oben zu wohnen. Sie brauchte anderthalb Stunden, um von Veddinge Bakker ins Präsidium zu kommen, und sie liebte diese Fahrt. Sie konnte hinter dem Steuer gut denken, während das Radio lief.
Gerade waren sie die Ermittlung noch einmal durchgegangen. Noch immer gab es keine Spur von Sofie Kyhn Larsen. Die Taucher hatten ergebnislos nach ihr gesucht, und weder den Hunden noch den Hubschraubern oder den Polizisten war es gelungen, weitere Spuren zu finden. Sofie war immer noch die Geschichte in der Presse, ihr Gesicht prangte auf den Titelseiten sämtlicher Boulevardzeitungen, ihr Name wurde im Radio genannt, und ihr Foto war im Fernsehen zu sehen. Die Telefone klingelten permanent, und die Hinweise der Anrufer wurden notiert und an die verschiedenen Ermittler weitergegeben. Es galt, die Spreu vom Weizen zu trennen, was sich bei Fällen mit hohem Medieninteresse als besonders schwierig darstellen konnte. Diese Art Fälle ließen fast immer ein paar verstörte Menschen kriminelle Handlungen gestehen, die sie nicht begangen hatten und diese falschen Geständnisse führten dazu, dass die Polizei eine Menge Ressourcen unnötig verschwendete.
Rebekka ging
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