Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
heraus und fischte aus einem der Fächer eine Schwarz-Weiß-Fotografie. Sie zeigte einen kleinen Jungen mit wassergekämmtem, schwarzem Haar, der verlegen in die Kamera schaute. Sie schob das Foto mit leicht zitternden Fingern zu Rebekka hinüber.
»Sehen Sie ihn sich an. Das ist Søren als Dreijähriger. Er tut niemandem etwas zuleide.«
Rebekka griff nach der Fotografie. Søren hatte lieb ausgesehen als kleiner Junge, und mit den Augen einer Mutter betrachtet, war er bestimmt noch immer ein lieber, kleiner Junge, doch für die Polizei und die restliche Gesellschaft war er ein ausgewachsener Mann, der das Leben eines Kindes auf dem Gewissen hatte. Ein Mann, vor dem man die Gesellschaft schützen musste. Sie überlegte ihre Worte gut, die Situation war heikel.
»Es ist kaum vorstellbar, wie Ihnen im Moment zumute sein muss, wo Ihr Sohn wegen des Mordes an einem Kind im Gefängnis sitzt. Aber Søren hat gestanden, und wie Sie vermutlich wissen, haben wir in seinem Zimmer mehrere Mädchenunterhosen gefunden. Zwei davon gehörten dem Opfer, Sofie.«
Elinor Thomsen schnaubte laut. »Die Unterhosen beweisen gar nichts. Er kann sie gefunden haben, die Leute schmeißen doch alles Mögliche weg. Søren läuft gern herum und wühlt in Altkleidercontainern herum. Er hat niemandem etwas getan. Das schwöre ich. Und er soll mit mir nach Hause kommen. Er hält es nicht aus, so lange im Gefängnis zu sitzen. Er ist anders.«
Rebekka versprach der älteren Frau, sich persönlich darum zu kümmern, dass Søren in seiner Zelle keinen Schaden nahm. Kurz darauf setzte sie sie in ein Taxi nach Hause. Sie sah ihr vom Fenster aus nach. Elinor Thomsen war so alt und schwach, dass es aussah, als würde sie gleich vom Bürgersteig abheben, als sie in das Taxi steigen wollte. Glücklicherweise half ihr der Fahrer, sich ins Auto zu setzen, das schnell davonfuhr.
Mit gerunzelter Stirn trank Rebekka einen Schluck von ihrem Kaffee. Irgendetwas an der ganzen Sache störte sie und verstärkte die latente Unsicherheit, die sie die ganze Zeit bei dem Gedanken beschlichen hatte, inwieweit Søren Thomsen rein praktisch dazu in der Lage war, ein Kind zu töten, obwohl der Mord an Sofie Kyhn Larsen auf den ersten Blick zu einem Menschen mit seinem Profil passen mochte.
Sie ließ sich schwer auf ihren Bürostuhl fallen. Ihr Postfach war bereits voll von neuen E-Mails. Sie seufzte, vermisste Reza, den klugen Ryan, den verführerischen Niclas, doch vor allem vermisste sie eine Nachricht von Michael. Sie hoffte nur, dass sie Jonas erst einmal nicht über den Weg laufen würde. Sie hatte das Gefühl, als wären ihr die Worte ausgegangen.
—
Caroline streichelt mit der Hand vorsichtig über Perles schwarze Mähne. Das Pferd sieht sie mit seinen dunklen, glänzenden Augen von der Seite an, und Carolines Herz läuft vor Liebe über. Sie hat Perle zu ihrem zehnten Geburtstag im Frühjahr bekommen, und bisweilen fällt es ihr immer noch schwer zu glauben, dass das Pferd wirklich ihr gehört. Der Geburtstag steht ihr noch immer lebendig vor Augen. Die zarte Frühjahrssonne, die durch die Gardinen schaute, die Eltern, die ihr lachend ein Tuch vor die Augen gebunden und sie zum Auto hinausgeführt haben. Sie waren mit unbekanntem Ziel losgefahren. Das Geräusch, als sie endlich aus dem Auto stiegen, das laute Wiehern und der Geruch, der beste Geruch der Welt, der Geruch nach Pferd, der ein Glücksgefühl in ihr ausgelöst hatte, heftig und kristallklar, aus feinen Silberfäden gewebt. Sie war so überrascht, dass sie sich erst sehr viel später bei ihren Eltern hatte bedanken können.
Caroline klopft Perle auf den Rücken und tritt aus der Box. Sie muss nur noch aufräumen, sonst wird Philipsen sauer, und sie hat etwas Angst vor ihm. Sie hat die Box ausgemistet, das Wasser ausgetauscht und Futter in den Trog gefüllt. Sie stellt den Besen an seinen Platz, den Eimer in die Ecke und legt Striegel und Bürste in den kleinen, roten Schrank. Draußen ist es bereits dunkel und windig, der Herbst naht. Sie zieht ihre Jacke an, sie ist ganz alleine im Stall, aber das Wiehern der Pferde ist wie ein zärtliches Flüstern.
Sie schließt die Stalltür, der Wind fährt ihr ins Haar, zerrt daran, und sie schlägt schnell den Kragen der Winterjacke hoch. Von Moncler, dunkelblau, mit einem echten Pelzrand an der Kapuze. »Nur das Beste für das beste Kind«, hat die Mutter gesagt, als sie im Geschäft am Strandvej standen, um eine Winterjacke zu kaufen. »Nur das Beste ist
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