Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
Lindemann, alleine in einem Reihenhaus am Mindepark. Das ältere Ehepaar, das die Polizei alarmiert hatte, wohnte im Nebenhaus und nahm Rebekka und Reza in Empfang, als sie eintrafen.
»Wir sind so nervös wegen Nete«, brach es aus der älteren Frau heraus. »Sie hat mit ihrer Mutter einen Ausflug gemacht. Das Auto stand seltsam schräg geparkt auf dem Bürgersteig, als ich geklingelt habe, um mich zu erkundigen, ob es schön war. Niemand hat aufgemacht, deshalb haben wir aufgeschlossen und Ane auf dem Sofa gefunden. Bewusstlos. Aber Nete war nirgendwo. Ich habe das ganze Haus abgesucht.«
Ihre Stimme zitterte vor Erregung, und der Ehemann fügte erklärend hinzu: »Wir haben jeweils den Schlüssel für das Haus des anderen. Das ist ja ganz beruhigend. Wir gießen die Blumen und haben ein Auge auf das Haus des anderen.«
Die Frau nickte zustimmend und erzählte weiter. Während sie auf den Krankenwagen gewartet hätten, habe Ane Lindemann kurz das Bewusstsein wiedererlangt. Auf die Frage, wo die Tochter sei, habe sie gemurmelt, dass das Mädchen aus der Hütte am Esrum-See verschwunden sei. Die Nachbarn hatten entschieden, umgehend die Polizei zu verständigen, nicht zuletzt in Anbetracht von Carolines Verschwinden.
»Das klingt sehr seltsam«, sagte Reza und machte sich ein paar Notizen. »Hat die Mutter gesagt, wann das Mädchen verschwunden ist?«
Das Ehepaar sah sich fragend an und schüttelte synchron den Kopf. »Das haben wir nicht genau verstanden. Ane geht es sehr schlecht. Sie hat Krebs. Es war schwer zu verstehen, was sie gesagt hat. Sie hat nur gemurmelt.«
»Wie gut kennen Sie die Familie?«
Ein vorsichtiges Lächeln huschte über das Gesicht der Frau. »Gut. Sehr gut. Wir wohnen hier schon seit vielen Jahren, seit knapp vierzig, um genau zu sein. Ane und Nete sind vor ungefähr zehn Jahren eingezogen. Nete war damals noch ganz klein, ach, sie war so süß. Ane ist immer allein mit ihr gewesen, und unsere Kinder waren längst aus dem Haus. Ich hatte viel Zeit, und so sind wir langsam – ja, wie soll ich sagen? – eine Art Ersatzgroßeltern geworden.«
»Wer ist Netes Vater?«, wollte Reza wissen.
»Wir sind ihm nie begegnet. Er kommt aus irgendeinem arabischen Land. Sie hatten keinen Kontakt.«
Es konnte sich durchaus um eine familiäre Entführung handeln, dachte Rebekka sofort, was wiederum bedeuten konnte, dass das Mädchen sich bereits außer Landes befand.
»Wir würden sehr gerne ein Foto von Nete sehen. Es muss hier im Haus doch eins geben«, sagte Rebekka, und die Nachbarin verschwand im Wohnzimmer, um kurz darauf mit einem größeren, gerahmten Foto von einem brünetten, zwölfjährigen Mädchen zurückzukommen, das mürrisch in die Kamera blickte.
Rebekka verspürte sofort eine gewisse Erleichterung, als sie das Foto sah. Nete sah Sofie und Caroline überhaupt nicht ähnlich. Zum einen war sie zwei bis drei Jahre älter, zum anderen hatte sie dunkles Haar und braune Augen. Sie war ein kräftiges Mädchen, und unter dem Pullover ließen sich ein paar sprießende Brüste erahnen. Eindeutig ein Mädchen in der Pubertät.
»Sieht Nete noch immer so aus wie auf dem Bild?«, fragte Rebekka, und die Nachbarin nickte.
»Das Bild ist ganz neu, der Schulfotograf hat es gemacht. Ane hat sich so gefreut, als sie es neulich bekommen hat, sie war so dankbar, es noch sehen zu können.«
Die Stimme erstarb. Die Diele, in der sie standen, fühlte sich plötzlich eng an.
»Kann Nete weggelaufen sein?«, warf Reza ein.
Die Nachbarn tauschten Blicke, und der Mann räusperte sich leise. »Das kann man natürlich nicht ausschließen. Nete ist ein bisschen schwierig, und im Moment hat sie es ja auch nicht leicht, wo ihre Mutter … im Sterben liegt. Aber ich glaube es nicht. Nete war immer sehr nervös, wenn sie in der Schule und ihre Mutter allein zu Hause war. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass sie weglaufen würde, so wie die Dinge jetzt liegen. Ane hat ja auch gesagt, dass das Mädchen auf dem Ausflug verschwunden ist.«
»Die Mutter des Mädchens ist also so krank, dass sie im Sterben liegt?«
Das Ehepaar nickte ruhig, und die Hand des Mannes legte sich über die der Frau und drückte sie. »Die Ärzte haben sie aufgegeben. Ihr ist gerade ein Hospizplatz drüben im Sankt-Lukas-Hospiz zugeteilt worden.«
Eine Amsel piepte in der Hecke vor dem Küchenfenster. Reza und Rebekka beschlossen, schnell das Haus zu durchsuchen, bevor sie der Mutter einen Besuch abstatteten, die den
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