Todesspirale: Roman (German Edition)
von ihren Füßen. Sie wühlte in der Tasche, bis sie ihre kleine Nachttischlampe gefunden hatte, steckte sie in die Steckdose neben dem Bett, bestellte sich etwas über den Zimmerservice, und dann suchte sie nach einem Fernsehprogramm, das nicht zu langweilig war, um es sich während des Essens anzusehen. Nach dem Essen nahm sie ein langes Bad, frischte ihr Make-up auf und zog ihr verführerischstes Nachthemd an.
Gegen zehn Uhr abends war ihr endgültig klar, dass Mick Vinicor nicht kommen und an ihre Tür klopfen würde.
Sie streifte durch das Zimmer und flüsterte wütend vor sich hin, die Frustration brannte heiß in ihr. Ein unerträglich vertrautes Gefühl von Machtlosigkeit erfüllte sie, und wie ein direkt unter der Haut liegender Juckreiz quälte er sie, machte sich quasi über alles, was sie bisher erreicht hatte, lustig. Zur Hölle mit ihm. Zur Hölle mit allen Männern.
Sie stand mitten im Raum, und ihre Brust hob und senkte sich in dem Versuch, durch gleichmäßige Atmung die Beherrschung wiederzuerlangen. Okay. In Ordnung. Es war ja nicht so, dass sie dieses Gefühl von Machtlosigkeit nicht kannte. Aber das war natürlich genau das Problem, und, oh, wie sie das hasste.
Sie war in einem strenggläubigen christlichen Zuhause aufgewachsen, in dem von ihr erwartet wurde, dass man sie zwar sah aber nicht hörte, es sei denn, dass sie ausdrücklich aufgefordert wurde, eine Hymne zu singen oder einen Bibelspruch zu zitieren. Und wehe ihr, wenn sie stotterte oder nicht weiterwusste. Die übliche Bestrafung für derartiges Fehlverhalten war der Aufenthalt von bis zu drei Tagen in einer dunklen, feuchten, zweieinhalb Quadratmeter großen Zelle im Keller gewesen.
Gewöhnlich, nachdem Vater sie mit seiner Rute oder seinem Gürtel verprügelt hatte.
Es war gleichbleibend furchterregend geblieben in der unbeleuchteten Kammer mit ihrem moschusartigen Geruch und den huschenden Geräuschen, egal, wie oft sie eingesperrt gewesen war. Es hatte sie immer mit einem derartigen Gefühl von Hoffnungslosigkeit und rasender Wut erfüllt, dass sie glaubte, bersten zu müssen. Also hatte sie jeden ihr bekannten Gospel gesungen, Bibelvers um Bibelvers zitiert und sich geschworen, dass sie eines Tages genug Macht und Einfluss hätte. Keiner – keiner! – würde ihr je wieder Schmerz zufügen... oder sie an einem kleinen, dunklen Ort einsperren.
Sie hatte die Macht von Sex entdeckt, als sie siebzehn war. Bis dahin hatte sie entsprechend der Forderungen ihrer strengen Eltern die Nase nur in die Bibel gesteckt und den Weg der Gerechten eingeschlagen zu Ehren Gottes. Sie war zur Schule gegangen; sie war zur Kirche gegangen; und jede übrige freie Minute war dem Eislaufen gewidmet – aber erst nachdem ihr Trainer ihre engstirnigen Eltern überzeugt hatte, dass sie immer nur mit guten, anständigen Dingen in Berührung käme.
Was natürlich auch so hätte sein sollen.
Es war beim Eislauftraining, dass sie zuerst bemerkte, wie die Jungs in ihrer Gegenwart reagierten. Wenn sie sie streng zurechtwies, nicht unschicklich zu reden, ließen sie die Köpfe hängen. Aber wenn sie ihnen in die Augen blickte, sahen sie gierig aus; und wenn sie sich in einer bestimmten Weise bewegte, sich auf eine bestimmte Weise bückte, mit ihrer Zunge die Lippen befeuchtete, wölbte sich etwas in ihrer Hose hinter dem Reißverschluss. Sie war hübsch, und ihr Körper war schön, und sie entdeckte, dass sie auf diese Weise die Jungs kontrollieren konnte.
Macht. Sie war so süß, und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Zugang zu den wahren Dingen.
Im Lauf der Jahre hatte sich ihr Machtbereich vergrö ßert, und heutzutage gab es wenig, was sie nicht erreichen oder bekommen konnte. Meistens ging es schlicht nur darum, sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu befinden. Zu wissen, wie sie den richtigen Mann manipulieren konnte. Ganz offensichtlich war das Flugzeug heute Nachmittag nicht der richtige Ort für Mick Vinicor gewesen.
Oder vielleicht hatte das Timing nicht gestimmt.
Na ja, das mit der Zeit war immer so eine Sache. Was den Ort anging... sie bezweifelte nicht eine Sekunde, dass sie irgendwann einen auftat, den er absolut passend fände für ihre Zwecke. Himmel auch, es wäre doch geradezu lächerlich, irgendwelche Zweifel zu hegen, dass sie letztendlich Erfolg hatte, nicht wahr? Warum sollte sie die haben?
Bisher war ihr noch alles gelungen.
Es war nach Mitternacht, als das Taxi Sasha vor dem Eugene Hotel absetzte. Sie
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