Todesspur
ein Gesichtsausdruck, den er zu Lebzeiten nie gezeigt hat. Weiß der Teufel, was die bereits mit ihm angestellt haben, das kennt man ja alles aus CSI .
»Frau Bukowski, ist das Ihr Lebensgefährte Nikodemus Riepke?«, fragt das junge Ding.
Stella nickt.
»Möchten Sie noch einen Moment mit ihm alleine verbringen?«
Ehe wir ihn auseinandernehmen, oder was? »Nein.«
Tuch drüber, Bahre raus. Sie muss ein Formular unterschreiben und wird wieder nach draußen gebracht. Erst vor der Tür merkt sie, dass ihr doch etwas flau im Magen ist. Und plötzlich überkommen sie Schuldgefühle. Sie hat die Polizisten heute Morgen angelogen. Als Niko gestern aus dem Haus ging, ahnte sie sehr wohl, was er vorhatte. Es gab Streit. Stella verlangte die Adresse, die Niko von seinem Freund Sepp-Dieter bekommen hatte. Sie brüllte, sie wolle sich gefälligst selbst um ihre Angelegenheiten kümmern. Vor allem um diese. Denn Niko wusste ja gar nicht, worum es ging, der würde sich mit einem Hunderter abspeisen lassen, wo viel mehr zu holen war. Aber Niko machte einen auf coolen Macker, und sie ließ ihn schließlich gewähren – ohne ihn aufzuklären. Soll er doch ruhig schon mal einen Vorschuss kassieren, hatte sie gedacht. Sie selbst könnte immer noch nachsetzen, auf eigene Rechnung. Wer einmal zahlt, tut das auch ein zweites Mal. Deshalb gab sie nach, ließ ihn den großen Beschützer spielen, und als er im Bad war, um sich Pomade in sein Haar zu schmieren, schlich sie an seine Jacke und fand den Zettel mit dem Namen und der Adresse des Fahrzeughalters. Aber wie idiotisch von Niko, sich nachts allein an der Kreuzkirche mit dem Mann zu treffen! Typische männliche Selbstüberschätzung. Allerdings, das fällt Stella nun voller Reue ein, wusste Niko ja auch nicht, dass er es mit einem Mörder zu tun hatte. Der dachte, er hätte so einen geizigen Freier am Haken, der zittern und zahlen würde, nur damit das Frauchen zu Hause nichts von seinen Eskapaden erfuhr. Mist, verdammter!
Sie kriecht in den Fond des Streifenwagens, kramt in ihrem Handtäschchen nach dem Flachmann und nimmt unter den mokanten Blicken der beiden Polizisten, die sie im Rückspiegel beobachten, einen ordentlichen Schluck. »Verzeih mir, Niko!«, flüstert sie und wischt die Tränen, die ihre Wangen kitzeln, mit dem Ärmel des Persianers weg.
Sie lässt sich vor dem Kiosk an der Vahrenwalder absetzen, wo die um diese Zeit immer dort verkehrende Gesellschaft schon versammelt ist. Man begrüßt Stella mit respektvollem Nicken, und dann teilen sie den Kummer, ein paar Erinnerungen und etliche Getränke mit ihr.
Diese Szenen wird Fernando nie mehr aus seinem Kopf bekommen: der Körper des Jungen auf dem Asphalt vor den Reifen des völlig unbeschädigten Müllwagens. Die erst entsetzten, dann hasserfüllten Blicke von Sascha Lohmann und Sergej Markow, die wie Gewitterwolken am Unfallort auftauchen. Deren Mörder- und Scheißbullen -Geschrei, als Völxen sie geistesgegenwärtig von den anwesenden Streifenbeamten festnehmen und in die PD bringen lässt. Dann die Sanis und der Notarzt: knappe Befehle, der leblose Körper auf der Trage, die Tür fällt zu, und dann geht es mit ohrenbetäubendem Sirenengeheul ins nächste Krankenhaus. Sogar der zitternde Müllwagenfahrer wird wegen seines Schocks mit einer Ambulanz weggebracht. Zurück bleiben zahlreiche Schaulustige und der Blutfleck auf der Straße, ein Fall für die Spurensicherung, die Völxen sofort angefordert hat. Er will auf Nummer sicher gehen, nichts darf im Unklaren bleiben, schon der Hauch eines Verdachts, dass etwas vertuscht würde, wäre fatal.
Später dann die sich öffnenden Flügeltüren der Intensivstation, dem Tor zur Hölle, aus dem eine Ärztin heraustritt, sich den Mundschutz herunterreißt und mit gesenkten Lidern den Kopf schüttelt. Die furchtbaren Schreie der Mutter, eine verhärmte Frau in langen schwarzen Kleidern. Das aschfahle Gesicht des Vaters, der blanke Hass in seinen Augen und in denen des jungen Mannes an seiner Seite – einer der Brüder von Tahir. Er zischt Fernando etwas in seiner Sprache zu, vermutlich eine Drohung oder eine Verwünschung oder beides. Fast nicht zu ertragen aber ist der Blick von Tahirs kleiner Schwester: voller Traurigkeit und Enttäuschung.
Fernando möchte etwas zu ihnen sagen, ihnen erklären, wie leid es ihm tue, aber Völxen hindert ihn daran. »Nicht jetzt«, befiehlt er ebenso leise wie eindringlich, packt Fernandos Oberarm und zerrt ihn weg, wobei er
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