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Todesspur

Todesspur

Titel: Todesspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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schon die ersten Geier.«
    »Danke, Völxen. Du bist ein guter Chef«, sagt Fernando erschöpft.
    »Bleib heute zu Hause. Soll ich nachher Oda herschicken?«
    »Nein, ich komm schon klar, ich brauche kein Kindermädchen«, protestiert Fernando matt. Aber in Wirklichkeit würde er ganz gerne Oda um sich haben. Sie hat das Talent, die Dinge wieder geradezurücken, wenn das Leben durcheinanderzugeraten droht. Oder auch Jule. Er schätzt ihre klare Nüchternheit und ihren analytischen Verstand, hinter dem sich ein butterweiches Herz verbirgt. Ob die zwei eigentlich wissen, dass sie sich trotz des Altersunterschieds ziemlich ähnlich sind?
    Er zuckt zusammen, als es an der Tür klingelt. Es ist Jamaina, die Pedra die Ladenschlüssel übergibt. Er hört die beiden im Flur miteinander flüstern, dann trägt Jamaina eine weiße Terrine in die Küche. Der Inhalt dampft und riecht fremdartig, aber nicht schlecht.
    Jamaina stellt einen Suppenteller vor Fernando hin. Schlanke, schwarze Finger auf weißem Porzellan, es sieht schön aus. Sie schöpft eine breiige, bräunliche Masse in den Teller. Fernando versucht ein Lächeln und sagt: »Das ist sehr nett, aber ich kann jetzt nichts essen.«
    Jamaina setzt sich an den Tisch und hält ihm einen vollen Löffel unter die Nase, als wäre er ein kleines Kind. »Iss. Das hilft.«
    Fernando nimmt ihr den Löffel aus der Hand und fängt an zu essen. Erst jetzt merkt er, wie hungrig er ist. Fast schämt er sich für seinen Hunger in dieser Situation.
    Für Völxen ist es einfach, denkt Fernando, während er die Suppe löffelt. Dessen Jugendsünden erschöpfen sich wahrscheinlich mit dem Diebstahl von Kaugummi und einer harmlosen Klopperei auf dem Schulweg. Aber Fernando sieht sich selbst, mit dreizehn, vierzehn, fünfzehn. Nach dem Tod seines Vaters war er auf dem besten Wege, einer wie Tahir zu werden. Auch er hat gestohlen, hat sich geprügelt, hat geholfen, Dinge zu verticken, die ›vom Laster gefallen‹ waren. Auch er hatte ein Messer bei sich, sogar ein Butterfly, und es war ein gutes Gefühl gewesen, es am Körper zu tragen. Für ein nach seinen damaligen Maßstäben großzügiges Taschengeld war er ein willfähriger Handlanger für größere Gauner gewesen. Die Sache mit den gefälschten Fußballtickets für Hannover 96 , wegen der er schließlich aufflog, war dabei noch das Harmloseste. Man hatte ihm zwar nie gesagt, was er da mit seinem Fahrrad vom Hafen in Limmer nach Linden oder in die Nordstadt beförderte, aber Fernando war schließlich nicht blöde. Er wusste, dass es Drogen waren, und hätte ihn damals ein Bulle angehalten, wenn er gerade auf Kurierfahrt war, dann wäre auch er davongerannt. Dann hätte womöglich seine Mutter, die damals völlig ahnungslos war, weinend im Krankenhaus vor der Flügeltür gestanden.
    Er schiebt den Teller zurück, fasst sich an die Schläfen. Wann helfen endlich diese verdammten Tabletten? Sein Schädel fühlt sich an wie kurz vor dem Zerbersten.
    Natürlich hat Völxen recht, in erster Linie sind die Eltern für ihre Kinder verantwortlich, aber Fernando muss sich die Frage stellen: Hätte ihn seine Mutter damals allein zur Raison bringen können? Wohl kaum. Nur der gemeinsamen Anstrengung von Pedra, Völxen und einer Lehrerin, die an ihn glaubte, obwohl er nicht gerade ihr einfachster Schüler war, ist es zu verdanken, dass er seinerzeit die Kurve gekriegt hat. Vielleicht wäre Tahir Nazemi jetzt nicht tot, wenn er schon vor Monaten auf einen Richter gestoßen wäre, der ihn strenger bestraft hätte, anstatt nur mit ein paar Stunden Sozialdienst. Ja, er kennt die Argumente derer, die behaupten, im Jugendknast würden aus Kleinkriminellen Schwerkriminelle. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, und noch dazu eine sehr bequeme. Denn einige lernen dort auch zum ersten Mal, was es heißt, morgens aufzustehen, Verpflichtungen zu haben, einem geregelten Tagesablauf zu folgen. Manche machen im Knast eine Ausbildung und finden später einen Job. Und für einige ist das Gefühl, eingesperrt zu sein, tatsächlich Strafe und Anlass genug, um ihrem bisherigen Leben eine Wende zu geben. Vielleicht hätte Tahir nur ein paar Erwachsene gebraucht, die ihm seine Grenzen aufzeigten, die sich um ihn bemühten – Lehrer, Psychologen, irgendwer in diesem ganzen verdammten Apparat. Vielleicht sogar so einen schrägen Typen wie diesen Rapper Oumra, dessen Arbeit Fernando jetzt in einem ganz anderen Licht sieht. Aber offenbar hat man Tahir einfach gewähren und

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