Todesstoß / Thriller
ertragen …«, ihre Stimme brach, »sie so zu sehen.«
»Ma’am, wir müssen wissen, wie genau Sie sie gefunden haben«, sagte Jack. »Es ist sehr wichtig.«
»Sie hatte sich in ihrem Zimmer aufgehängt«, sagte sie. »Ich schnitt den Strick ab und legte sie aufs Bett.«
»Haben Sie sie umgezogen, Mrs. Millhouse?«, fragte Jack, und sie fuhr zurück.
»Nein. Gehen Sie jetzt.« Und damit erhob sie sich.
Weder Noah noch Jack regten sich.
»Mrs. Millhouse, es ist wichtig. Wir müssen es wirklich wissen«, wiederholte Jack. »Es gibt Hinweise darauf, dass Ihre Tochter möglicherweise doch keinen Selbstmord begangen hat. Dass sie vielleicht umgebracht worden ist.«
Mrs. Millhouse ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. Das Blut wich aus ihrem Gesicht. »Was?«
»Haben Sie in den letzten Tagen Zeitung gelesen?«, fragte Noah sanft.
»Ich … nein. Meine Augen sind nicht mehr besonders gut.«
Ihre Hände und ihr Rücken auch nicht.
Noah erkannte die Anzeichen von Arthritis. Es war ausgesprochen unwahrscheinlich, dass diese Frau ihre Tochter von der Decke geholt hatte. Sie musste wenigstens Hilfe gehabt haben.
»In den vergangenen Wochen sind mehrere Frauen getötet worden«, sagte Jack, »und immer hat der Täter es so aussehen lassen, als hätten sie Selbstmord begangen. Bitte seien Sie ehrlich, Mrs. Millhouse. Wie haben Sie Ihre Tochter gefunden? Wir müssen wissen, wie das Zimmer aussah, wie sie aussah, alles, woran Sie sich erinnern können.«
Mrs. Millhouse schlug die Hände vors Gesicht, als ein erstickter Schluchzer aus ihr herausbrach. »Sie hing wie eine Hure gekleidet am Strick. Ich konnte es nicht ertragen.«
»Haben Sie jemanden angerufen?«, fragte Jack.
»Meinen Sohn. Larry. Er kam und hat sich um mich gekümmert. Er hat sich um alles gekümmert.«
»Wir müssen mit ihm reden, Ma’am«, sagte Jack. »Wo können wir ihn finden?«
»Er arbeitet. Bei 3M. Er ist Chemiker.«
3
M!
Noah durchfuhr es wie ein elektrischer Schlag, und er musste sich zusammenreißen, um sich nichts anmerken zu lassen. 3M stellte unter anderem Klebstoff her. Ein rascher Seitenblick bestätigte ihm, dass sein Partner dasselbe dachte.
Jacks Lächeln war sowohl traurig als auch aufmunternd. »Ma’am, es wäre uns eine große Hilfe, wenn Sie zum Präsidium kämen und zu Protokoll geben würden, an was Sie sich noch erinnern. Wir bringen Sie wieder nach Hause, wenn wir fertig sind.«
Erschüttert nickte sie. »Ich hole meinen Mantel, sobald ich meinen Sohn angerufen habe.«
Noah und Jack erhoben sich mit ihr. »Lassen Sie mich Ihnen in den Mantel helfen«, sagte Noah sanft. »Und wenn Sie mir seine Nummer geben, dann rufe ich ihn schon an.«
Mittwoch, 24. Februar, 13.05 Uhr
Eve ließ sich auf einen leeren Stuhl ganz hinten im Raum sinken. Sie war etwas zu spät dran. Es war Donners Ethik-Seminar, und sie hatte der Stunde den ganzen Morgen schon mit Magengrimmen entgegengesehen. Noah hatte zwar gesagt, Donner wollte sich bei ihr entschuldigen, aber dennoch.
Zum Glück war der Mann noch nicht da. Er kam in letzter Zeit oft zu spät, und manchmal war er aus keinem erkennbaren Grund wütend, wenn er dann doch auftauchte. Seine Persönlichkeit schien sich verändert zu haben, und manch ein älterer Student machte sich darüber Gedanken. Vor zwei Jahren, als Eve hier angefangen hatte, hatte Donner wenigstens bei einigen noch den Ruf gehabt, ein guter Mentor zu sein. Das war längst vorbei.
Und bei mir ist es noch nie so gewesen.
Ihr Handy vibrierte. Olivia. »Ich kann jetzt nicht«, flüsterte Eve. »Ich bin in einem Seminar.«
»Ich stehe vor dem Gebäude. Du musst mitkommen aufs Präsidium.«
Eves Eingeweide zogen sich zusammen. »Noah?«
»Nein. Looey. Kurt Buckland, meine ich. Er ist verschwunden. Wir müssen die Ereignisse noch einmal mit dir zusammen durchgehen. Jetzt. Entweder ich fahre dich, oder ich fahre hinter dir her.«
Eve hatte die Laptop-Tasche bereits geschultert. »Ich bin auf dem Weg.«
Mittwoch, 24. Februar, 14.30 Uhr
Zum zweiten Mal in nur vierundzwanzig Stunden hatte er echtes Glück gehabt. Wäre er nur eine Minute länger bei Rachel geblieben, hätte man ihn erwischt. Und wäre er nun nur eine Minute später gekommen, dann hätte er Eve verpasst.
Er war zu ihrer Wohnung gefahren, weil er gehofft hatte, sie dort allein anzutreffen. Doch als er in ihre Straße eingebogen war, hatte er ihren Wagen gerade noch davonfahren sehen. Also war er ihr gefolgt, während er versucht hatte, sich
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