Todesstoß / Thriller
lassen«, knurrte sie ihrem Spiegelbild zu und trug wütend Lippenstift auf.
Süße Natalie, schlaue Natalie. Natalie, die alles kann, die gerade wieder eine tolle Gehaltserhöhung bekommen hatte. Natalie – die »Ich-bin-deine-neue-Chefin«-Natalie.
»Ach, verpiss dich.« Sie warf den Lippenstift in ihre Handtasche.
Sie hatte Natalie in Shadowland eingeführt.
Damit sie mir auf meinem eigenen Terrain gegenübertreten muss.
Aber irgendein gemeiner Dämon hatte sie in Schutz genommen, und so war Natalie sogar gut im Pokern.
Verdammter Pakt mit dem Teufel. Sie hat mich benutzt. Hat mir alles genommen und lässt mich dann aus meinem eigenen Haus werfen.
Sie hatte sie wegen Spielbetrugs angezeigt. Das war nicht fair.
Ich habe monatelang meine Skillpoints gesammelt. Monate!
Und nun war alles weg. »Gott, ich hasse diese Schlampe.«
John hatte von vornherein recht gehabt. Sie hat mich benutzt, um besser dazustehen.
Aber Virginia würde zuletzt lachen. Heute Abend zumindest würde
sie
sich mit einem Mann treffen, während Natalie allein und in einer virtuellen Welt versunken pokerte, ohne etwas von der Realität mitzubekommen.
Virginia hoffte, dass Natalie süchtig werden würde. Vielleicht verlor sie ihren Job. Virginias Miene erhellte sich.
Hey, das ist durchaus möglich.
Und dann würde Natalie ihr schickes Haus und den schicken Wagen verlieren. Und bei wem würde sie wohl angekrochen kommen? »Bei mir«, fauchte Virginia und zog die Wohnungstür hinter sich zu.
Und dann kommt die Abrechnung.
Sie schleuderte ihre Tasche mit solcher Wucht auf den Beifahrersitz, dass sie vom Polster abprallte. »Ich trete dir so fest in den Hintern, dass meine Sohlen Abdrücke hinterlassen. Mir zu erzählen, ich sollte mich heute Nacht mit keinem Mann treffen. Mir zu erzählen, das sei zu gefährlich.« Neidische Schlampe. Sie wollte bloß alles für sich – Männer, Geld, Macht – alles!
Tja, John würde Natalie aber nicht kriegen. Dafür würde Virginia schon sorgen.
Donnerstag, 25. Februar, 00.30 Uhr
Er fuhr auf den Parkplatz und sah zufrieden, dass Virginias Wagen schon dort stand. Sie war so unfassbar einfach anzulocken gewesen, so eifersüchtig und neidisch auf ihre Freundin Natalie. Er war überzeugt, dass Natalie gar keine Ahnung hatte, wie sehr ihre »Freundin« sie hasste. Natalie fiel alles in den Schoß: Sie hatte eine gute Stelle, Familie, hatte immer Männer zur Auswahl, während Virginia nur zusehen konnte und gezwungen war, Natalies Erzählungen über neue Eroberungen zu lauschen.
Virginia hatte Natalie an den Pokertisch in Shadowland eingeladen, um sich endlich einmal profilieren zu können, doch stattdessen machte Natalie auch dort eine ausgesprochen gute Figur. Er musste zugeben, dass er in all den Jahren nur auf sehr wenige derart würdige Gegner gestoßen war. Natalie Clooney umzubringen war nie seine Absicht gewesen. Sie kam einer echten Konkurrenz näher als jeder andere Mensch, lebendig oder virtuell. Wenn er wieder zum stillen Töten zurückkehrte, dann würde er sich neu in Shadowland registrieren und einen anderen Avatar kaufen. Er hatte festgestellt, dass ihm Pokern wirklich Spaß machte, daher wollte er weitermachen.
Und wenn es so weit war, gab es auch keine Virginia mehr, die ihm den Spaß verdarb. Als er aufgetaucht war, war Virginia reif gewesen. Es war nicht schwer gewesen, sie dazu zu bringen, ihm beim Pokern gegen Natalie zu helfen. Und sie in Plaudereien zu verwickeln, in denen sie ihm ihr ganzes Leid geklagt hatte, von dem Chef, der sie nicht ausstehen konnte, über ihre Angst vor der Dunkelheit bis hin zu ihrer unfähigen Therapeutin. Aber ihm tat jeder leid, der dieser Frau mehr als nur zwei Minuten lang zuhören musste.
Er konnte jammernde Frauen nicht ausstehen. Seine Mutter hatte immer nur gejammert. Und schließlich hatte er sie satt gehabt. Er war überzeugt, dass die Welt auch Virginia Fox’ Gejammer satt hatte.
Bald würde die Welt zum Glück ein wenig ruhiger sein.
Donnerstag, 25. Februar, 1.45 Uhr
Eve lag mit dem Kopf an Noahs Schulter im Bett. Ihre Finger spielten mit dem rauhen Haar auf seiner Brust, die sich im Schlaf hob und senkte.
Aber sie war hellwach. Noah hatte recht gehabt: Das zweite Mal hatten beide weit mehr genossen. Sie schauderte vor Wonne, als sie sich erinnerte. Geistig wie körperlich.
Und wie sie es genosssen hatten. Das erste Mal war eigentlich weniger ein Sprung ins kalte Wasser gewesen als ein ausgedehnter Gleitflug. Das zweite Mal dagegen?
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