Todesstunde
sprang.
»Welches Medikament haben Sie heute Morgen zu nehmen vergessen?«, fragte ich.
»Ich stehe total unter Druck, Mike.« Sie seufzte erschöpft. »Ehrlich. Sie verstehen nicht, wie übel die Lage im Zeitungsgeschäft gerade ist. Der City-Redakteur wartet nur auf eine Entschuldigung, um uns den Lohn zu kürzen. Können Sie mir nicht irgendwas geben? Im Moment wäre ich auch mit einem ›kein Kommentar‹ zufrieden.«
»Also dann: kein Kommentar.« Mit diesen Worten beugte ich mich zu ihr hinüber und öffnete die Beifahrertür. »Gute Tränendrüsengeschichte, übrigens. Bin fast drauf reingefallen. Bei den ersten drei Malen hat es ja noch geklappt. Sie sollten sich was Neues ausdenken. Eine sterbende Mitbewohnerin oder so was.«
»Sie sind echt herzlos!«, beschwerte sich Calvin.
»Herzlos, ja. Aber kein Trottel. Wenn Blut fließt, steigt die Auflage. Stimmt’s, oder habe ich recht? Und hier fließt eindeutig Blut. Das Letzte, worum ich mir Sorgen mache, ist Ihr sicherer Arbeitsplatz.«
Sie schenkte mir ein schwaches Lächeln. »Na gut. Ich mag Sie übrigens auch, Mike. So schwer man das auch glauben kann. Was für ein Parfüm verwenden Sie da? Gefällt mir.«
Ich schnüffelte. Die Kinder hatten irgendeine Seife in der sandigen Dusche liegen lassen. Ja, sie roch tatsächlich ziemlich gut, aber ich wusste, dass Calvin an meinen Ketten zerrte, um mich gefügig zu machen. Oder doch nicht?
»Cathy, Sie scheinen eine nette Frau zu sein«, sagte ich. »Sie sind gebildet. Sie ziehen sich hübsch an. Ich dachte, die Polizeiredakteurin wäre nur eine Etappe auf dem Weg zu etwas Besserem. Geht es ums Ansehen? Haben Sie eine Schwäche für Leichen? Haben Sie sich das schon mal gefragt?«
»Gehen Sie mit mir zum Abendessen, und finden Sie es heraus, Mike.« Sie prüfte ihr Make-up im Rückspiegel. »Dann erzähle ich Ihnen bei einer Flasche irischem Wein die lange, traurige Geschichte meines Lebens. Ich selbst stehe allerdings auf Jameson-Whiskey.«
Cathy war eine große, schlanke, blonde Frau mit grünen Augen. Ihren unanständigen Blick musste ich einfach erwidern.
»Wir werden auch gar nichts Berufliches reden. Versprochen.« Sie schaltete mit ihrem rot lackierten Daumen ihr Aufnahmegerät ab und lächelte. »Na ja, vielleicht ein klitzekleines bisschen.«
Dieses Klicken allerdings holte mich zurück in die Wirklichkeit. Was, zum Teufel, trieb ich hier eigentlich? Ob attraktiv oder nicht, Cathy war durchgeknallt und der Feind. Selbst wenn nicht, standen bereits zwei hübsche Damen auf meiner Tanzkarte. Brauchte ich noch eine dritte?
»Ein andermal, Cathy«, wimmelte ich ab. »Falls Sie es noch nicht bemerkt haben, ich bin derzeit einigermaßen beschäftigt.«
»Wie dem auch sei, Detective«, sagte sie und stieg aus, blieb kurz auf dem Bürgersteig stehen und drehte sich langsam um, damit ich einen guten Blick auf das erwischte, was ich verpassen würde. »Mein Telefon ist immer eingeschaltet.«
»Dessen bin ich mir sicher«, murmelte ich, während ich so tat, als würde ich nicht beachten, wie sie mit wiegender Hüfte davonging.
45
Nach drei weiteren ergebnislosen Stunden, in denen ich mich durch die Briefe an Sams Sohn quälte, war ich am Ende und wollte gerade gehen, als mich Miriam anrief. Der Polizeipräsident sei auf dem Weg zurück von Philadelphia, wo er eine Rede gehalten habe, und wolle sich von mir persönlich Bericht erstatten lassen. Also klebte ich noch zwei Stunden mit brennenden Augen an meinem Schreibtisch fest, bis Miriam mich erneut anrief, um zu sagen, der große Häuptling habe seine Meinung geändert. Ich könne also gehen.
Am Abend fand in Breezy Point das Fest der Kirchengemeinde statt, auf das wir uns schon seit Beginn unserer Ferien freuten. In den letzten beiden Wochen hatte ich die romantische Vision eines Grundschülers, Mary Catherine in alle Fahrgeschäfte mitzunehmen, neben ihr zu sitzen, wenn sie schrie und lachte, und vielleicht einen dieser riesigen Teddybären für sie zu gewinnen.
Der Verkehr war zur Abwechslung mal schwach, so dass ich in etwas mehr als einer Stunde in Breezy Point war. Statt nach Hause fuhr ich gleich zur St.-Edmund-Gemeinde in der Hoffnung, den Ausklang des Sommerspektakels noch mitzubekommen.
Voller Hoffnung erblickte ich die Karussells und Zelte neben dem Pfarrhaus. Doch leider waren alle Lichter bereits ausgeschaltet. Auch die Bude mit den Krapfen war verrammelt. Die Party hab ich wohl verpasst, dachte ich im Wagen neben dem Parkplatz.
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