Todessymphonie (German Edition)
tigerte durchs Haus und dachte nach. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Il Macellaio, dem italienischen Serienmörder, der seit zehn Jahren sein Unwesen trieb, war endlich ein riesiger taktischer Fehler unterlaufen.
Baldwin war müde. So unglaublich müde und doch so aufgedreht. Jetzt hatte er endlich die Bestätigung, dass Il Macellaio vor drei Monaten seine Jagdgründe nach London verlegt hatte. Er hatte drei Frauen getötet, alle leicht außerhalb seines üblichen Opferprofils. Es hatte sich bei ihnen um Prostituierte gehandelt. In Florenz hatte er sich auf Studentinnen konzentriert und achtgegeben, Mädchen auszuwählen, deren Verschwinden längere Zeit niemandem auffiele. Stille, scheue Mädchen, die nicht viele Freunde hatten.
Am Anfang hatte Baldwin angenommen, dass er ihnen geschmeichelthatte, sie verführte und überredete, ihr Leben hinter sich zu lassen und mit ihm nach Hause zu kommen. Er hielt sie wochenlang gefangen, ließ sie langsam verhungern, bis sie so geschwächt waren, dass sie keine Chance mehr hatten, sich gegen ihn zu wehren. Nachdem sie tot waren, hatte er Sex mit ihren Leichen, wusch sie dann und arrangierte sie kunstvoll wie auf der Postkarte des Gemäldes, die er immer am Fundort hinterließ.
Nekrosadismus war nichts, womit Baldwin jeden Tag zu tun hatte, aber es kam vor. Eine Frau zu ermorden, um dann Sex mit ihrer Leiche zu haben, war eine Extremform der Nekrophilie, die oft mehr durch die Fantasie vom Sex mit einer toten Frau charakterisiert wurde als durch die tatsächliche Durchführung der Tat.
Aber für jeden Mörder da draußen gab es etwas, in das er sich verwandeln konnte, und Il Macellaio war ein echter Nekrosadist. Er hatte damit angefangen, die Mädchen verhungern zu lassen, war aber schnell zur Strangulation übergegangen. Aber selbst dann, in seinen späteren Fällen, war den Mädchen keinerlei Nahrung, kein Wasser gegeben worden, sodass sie schwach wurden und sich nicht mehr wehren konnten.
Il Macellaios Verlangen kam seiner Selbstkontrolle immer mehr in die Quere. In den frühen Tagen hatte er sich Zeit gelassen, hatte seine Gelüste mit einem Mord pro Jahr befriedigen können. Jetzt war er auf den Geschmack von totem Fleisch gekommen und trieb das Sterben seiner Opfer voran, damit er mehr Zeit mit ihren Leichen verbringen konnte. Das waren auf gewisse Weise gute Neuigkeiten. Wenn einem Serienmörder die Selbstkontrolle entglitt, hatte man die Chance, ihn zu schnappen.
Baldwin wandte sich wieder den Akten auf dem Tisch vor ihm zu. Die neuen Morde in London an den Prostituierten schockierten ihn. Geografisch gesehen neigten Serienmörder dazu, in bestimmten Regionen zu bleiben. Ländergrenzen zu überspringen war ein ziemlich großer Schritt.
Wenn er jedoch tatsächlich nach Amerika gekommen sein sollte, dann würden sie ihn fangen. Baldwin blätterte die Bilder des Fundorts in Nashville durch. Sie waren so vertraut. Das Arrangement der Leiche, der ausgemergelte Körper. Der große Unterschied zwischen den Morden in London und Florenz und diesem möglichen Mord in den USA war die Hautfarbe des Opfers.
Die Opfer in England und Italien waren alle weiß. Dieses hier war schwarz. Und das reichte aus, um Baldwin ernsthaft innehalten zu lassen. Bei einem erfahrenen, organisierten Serienmörder kann sich die wohl definierte Signatur im Laufe der Zeit entwickeln, kann spezifischer, genauer werden. Die Tötungsmethoden werden perfektioniert, der Täter lernt von jedem Tatort. Er findet heraus, was funktioniert und was nicht, was ihn anmacht und was nicht, und passt sich entsprechend an. Genau wie jedes andere Raubtier.
Aber Mörder fangen normalerweise nicht mit einer Hautfarbe an und wechseln dann zu einer anderen. Wenn er von Anfang an keinen Unterschied gemacht hätte … aber das hatte Il Macellaio nicht. Er hatte ausschließlich weiße Frauen getötet. Zumindest soweit sie wussten.
Baldwin seufzte. Er hatte eine E-Mail an die Sondereinheit geschickt, die den Macellaio-Fall bearbeitete, und sie gebeten, alle ungelösten Morde an jungen schwarzen Frauen in Florenz oder London der vergangenen fünfzehn Jahre herauszusuchen. Die Carabinieri hatten eine tadellose Datenbank; die Suche sollte nicht lange dauern. Die der Metropolitan Police war sogar voll automatisiert. Deren Antwort sollte spätestens morgen Abend vorliegen.
Er hatte Angst davor, wie die Antworten ausfallen würden.
Sein Telefon klingelte. Das Display verriet ihm, dass es sich um einen Anruf aus London
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