Todestanz
requiriert und die zahllosen Remington-Schreibmaschinen weggeworfen hatte, die letztmals in den Siebzigerjahren benutzt worden waren. Die Akten aufgestapelt, Stifte im Marmeladenglas, die Topfpflanze gewässert â Rita hatte schon früh gelernt, die kleinen Dinge zu regeln. Weil man die groÃen sowieso nicht ändern konnte.
Da das kleine Schiebefenster zur StraÃe hin ging, war es zugenagelt worden; die untere Scheibe hatte man in dem klassischen Gelbgrün der Krankenhäuser und Besserungsanstalten gestrichen. Rita bezeichnete es als Nervenanstaltsgrün. Der Raum roch feucht und nach abgestandenem Zigarettenrauch. Er war mit zwei Stühlen, einem Schreibtisch, einem Telefon und einem Laptop ausgestattet. Rita hatte eine Luftbildkarte von Kapstadt aufgetrieben und an die Wand gepinnt. Jemand hatte ein rosa Band an die Stelle geheftet, an der Yasmin verschwunden war.
Rita knüllte ihre Essenstüte zusammen und warf sie in den Mülleimer. Dort landete sie auf den Ãberresten von Clinton van Rensburgs Hamburger. Er telefonierte gerade mit seiner Frau. Rita hörte mit halbem Ohr zu. Er werde sich jetzt auf den Heimweg machen, nein, sie hätten das Kind nicht gefunden, nein, Faizal stehe noch nicht unter Arrest, ja, es wäre hilfreich, wenn sie zu Shazia führe. Morgen, nicht heute Abend, da sei schon jemand bei ihr, ja, sie würden Yasmin finden. Lebend, ja, natürlich lebend. Mit beschwichtigender, aber angespannter Stimme, so wie immer seit der Geschichte mit Calvaleen, seit auf ihn geschossen worden war.
»Immer noch die Korbball-Queen, Mkhize?« Delport lehnte im Türrahmen und knabberte an einem Sparerib. Er musterte unverhohlen Ritas runden Hintern.
»Da spricht die eine zur anderen, nehme ich an«, schoss Rita zurück.
»Was?« Delport leckte sich die würzige SoÃe von den Fingern.
»Die eine Queen«, erklärte Rita, »zur anderen.«
Delport schleuderte den Styroporbehälter seiner Spareribs nach ihr. Verfehlte sie. »Fick dich.«
»Davon träumst du wohl.« Rita zog die ReiÃnägel aus der
Jackentasche und heftete den Ausdruck an, den sie mitgebracht hatte.
»Delport«, sagte Clinton van Rensburg. »Machen Sie Feierabend.«
»Wie geht es am Wochenende weiter?«
»Heute Abend passiert sowieso nichts mehr.«
»Wie praktisch«, feixte Delport.
»Morgen früh kommen wir wieder zusammen und erörtern die Lage.«
»Na dann bis dann.« Delport schlenderte aus dem Raum; der Lärm aus der Bar im Erdgeschoss lockte.
»Der nimmt das mit dem Feier-Abend wörtlich«, kommentierte Rita. Sie prüfte den Ausdruck. Zeitachsen. Orte. Menschen. Das Wann-wer-wo jeder Ermittlung. Nur ein paar vereinzelte Fakten in der weiten Savanne ihrer Unwissenheit. Auf der anderen Seite heftete sie zwei Blätter mit dicker Ãberschrift an. Methode. Motiv. Das Wie und Warum. Journalistenfragen. Noch waren keine Journalisten aufgetaucht, aber sie hatten bereits die Witterung aufgenommen.
Sie ging die Liste von Telefonnummern durch, die ihr der Wachmann vor der Ballettschule gegeben hatte, dieselben Nummern, die Shazia mit wachsender Hysterie angerufen hatte, während die Wachleute nach ihrem Kind gesucht hatten. Alle in der festen Ãberzeugung, dass sie irgendwo stecken und, den Kopf auf den Schulranzen gebettet, tief und fest schlafen würde. Riedwaan hatte Madame Merle, die Ballettlehrerin, angerufen. Sie hatte Yasmin im Kurs gesehen und danach nicht mehr. Der Pianist sagte dasselbe. »Mister Henry« nannten ihn die Kids. Nachname Harries. Auf den ersten Blick rein gar nichts.
Sie rief bei Yasmins bester Freundin an, aber die hatte Yasmin auch nicht gesehen.
Sie probierte es bei Calvaleen van Rensburg, aber die ging nicht ans Telefon.
»War Ihre Tochter heute Nachmittag beim Ballett?«, fragte sie Van Rensburg.
»Nein«, sagte er. »Sie geht kaum noch hin. Ich muss jetzt auch los. Latisha ⦠Sie wird so schnell nervös.« Van Rensburgs Euphemismus für den Nervenzusammenbruch seiner Frau; seine Unfähigkeit, noch zu ihr durchzudringen.
»Und das da?« Rita deutete auf die Telefone, die Karte, ihre Informationsfetzen.
»Er wird sie zurückbringen.« Ungeschickt auf einer Krücke balancierend sammelte Van Rensburg seine Sachen zusammen.
»Captain Faizal hat sie nicht entführt.« Zorn stieg in Ritas Brust auf. »Warum machen wir
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