Todestanz
ein Wagenheber. Sie atmet wieder ein. Der Ãlgeruch. Sie liegt im Kofferraum.
So kalt, so dunkel.
Immer noch besser, als tot zu sein.
Ein Rechteck, an dem die Dunkelheit nicht ganz so undurchdringlich ist. Sie dreht den Kopf dorthin. Glas neben ihrem Kopf, ein winziges Loch nach auÃen. Yasmin liegt ganz still und lauscht den verschiedenen Schichten der Stille hinter dem kaputten Rücklicht. Das gedämpfte Bellen eines Hundes. Andere Hunde antworten. Und weit, weit weg der Muezzin, der sie ruft. Tränen laufen in ihre Ohren. Wie soll er sie finden, wenn sie ihm nur so wenig sagen kann? Diesel, ein kaputtes Rücklicht, ein Hund, weit weg ein Muezzin.
Schritte.
Eine noch unbekannte Stimme.
Der Kofferraum geht auf, und eine Hand fasst herein.
Ihre zum Platzen volle Blase läuft über. Sie weint vor Scham, weil sie sich nass gemacht hat, nicht wegen der Ohrfeige, die sie dafür kassiert.
Sechzehn
Wie eine Lawine rumpelte die Samstagszeitung durch Clares Briefkastenschlitz und riss sie aus ihrem rastlosen Schlaf. Sie hob sie auf, als sie Fritzi füttern ging â die genauso wortkarg war wie Clare vor ihrer ersten Tasse Kaffee. Clare breitete die Zeitung auf dem Küchentisch aus. VERMISST: TOCHTER VON TOP-POLIZIST. Yasmin Faizal lächelte zu ihr auf, mit Haarnetz geschmückt, das Balletttrikot an der Taille mit einem schmalen Elastikband geschnürt, die knochigen Knie im Plié. Ein Foto von Shazia Faizal, unnahbar in ihrer Schwesternuniform. Und ein Bild von Riedwaan neben den beiden zusammengekrümmten Leichen der in Maitland erschossenen Mädchen.
Der Artikel blähte die wenigen Fakten mit überreicher Spekulation auf. Clare las ein unkommentiertes Zitat von Director Ndlovu über die Notwendigkeit, innerfamiliäre Gewalt zu unterbinden. Und ihr Eingeständnis, dass die Durchsuchung von Captain Faizals Wohnung, der Wohnung seiner Familie und mehrerer anderer Orte, an denen das Kind möglicherweise gefangen gehalten wurde, erfolglos gewesen war.
Namenlose Quellen lieÃen sich über Riedwaans Ruf als Polizist aus, über die heldenhafte Rettung seines Kollegen, die erzwungene Pause, den Arbeitsstress in der Gang Unit, die Schüsse auf seinen früheren Partner Van Rensburg, die inzwischen öffentlich bekannte Fehde zwischen Phiri und Salome Ndlovu.
Eine Polizeisprecherin erklärte, dass die Nachforschungen im Umkreis des Entführungsortes â mit speziell ausgebildeten Polizisten, einer Haus-zu-Haus-Befragung und Hundeeinsätzen
 â keine Hinweise auf das vermisste Mädchen ergeben hatten. Ein obdachloses Paar hatte eine Aussage gemacht: Die beiden hatten das Mädchen warten sehen, während sie die Mülltonnen auf der anderen StraÃenseite durchwühlten. Die Kleine habe etwas gegessen. Auch die Höhlen in der Nähe waren durchsucht und die Kanäle beim Fluss waren durchkämmt worden. Nirgendwo hatte man eine Spur von dem Kind oder dessen Habseligkeiten entdeckt.
Clare blätterte weiter zu Seite drei und blickte verdattert auf ihr eigenes Porträt, das während der Persephone- Aufführung am Vorabend aufgenommen worden war. Der betont vage gehaltenen Unterzeile zufolge war das Kind während der Vorstellung verschwunden, und es gebe Spekulationen, dass Dr. Clare Hart, die sich mit den jüngsten Mordfällen an jungen Mädchen befasst hatte, möglicherweise an den Ermittlungen beteiligt sei. Publicity. Die brauchte sie wie ein Loch im Kopf. Sie sah die Notizen durch, die sie sich am Abend zuvor gemacht hatte. Fast alles deutete auf Yasmins Vater hin.
Riedwaan Faizal war dort gesehen worden.
Er hatte das Kind schon früher einmal entführt.
Er hatte ein Motiv. Wozu war ein Vater fähig, wenn jemand plante, sein einziges Kind nach Kanada mitzunehmen?
Was würde sie in so einem Fall tun?
Clare öffnete das Küchenfenster und legte die Brotkrumen für den wartenden Spatz auf den Sims. Der Vogel, ein urbaner Ãberlebender mit klarem Blick, pickte sofort hungrig darauf ein.
Dass das Mädchen unbemerkt in einem so ruhigen, von der Polizei überwachten Vorort verschwinden konnte, deutete auf jemanden aus ihrem Umkreis hin. Jemand Vertrauten, der nicht weiter auffiel. Und trotzdem sperrte sich etwas in ihr gegen diese Annahme.
Clare hatte ihm geglaubt. So einfach war das. Doch genau das machte ihr zu schaffen. Sie steckte das Pfefferspray in die Jackentasche. Handy, Notebook,
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