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Todestanz

Todestanz

Titel: Todestanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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mit ihr übers Wochenende in einer Strandhütte versteckt.«
    Â»Wenn ich sie finden soll«, sagte Clare, »muss ich wissen, wer sie ist und was sie so tut.«
    Madame Merle seufzte. »Yasmin kommt jeden Tag gleich nach der Schule zu uns. Ich nehme an, dass sie gestern wie üblich von ihrem Taxi hier abgesetzt wurde. Sie kam in ihren Kurs und hat perfekt getanzt. Dann war die Stunde zu Ende. Sie umarmte mich kurz und ging. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich gebe direkt im Anschluss noch einen Kurs – für die älteren Mädchen. Sie haben sie gestern Abend gesehen. Das Ensemble in Persephone. «
    Â»Wohin ist sie gegangen, nachdem sie sich verabschiedet hatte?«
    Â»Dorthin.« Madame Merle schwenkte eine manikürte Hand in Richtung Gang. »Dort sind die Umkleiden. Für die großen Mädchen rechts, hinter dieser Tür dort. Für die kleinen links.«
    Â»Wer passt auf die Kinder auf?«, fragte Clare.
    Â»Niemand. Wir sind eine Ballettschule, keine Kinderkrippe.«
    Â»Yasmin war jeden Tag mehrere Stunden hier.«

    Â»Damit ist sie eine Ausnahme«, erklärte Madame Merle. »Ein Polizist und eine Krankenschwester können sich kein Au-pair-Mädchen leisten. Yasmin bekommt ein Stipendium und muss darum täglich erscheinen. Wie gesagt, sie kommt direkt nach der Schule zu uns und macht hier ihre Hausaufgaben, bis ihr Kurs beginnt. Ihre Mutter holt sie nach dem Ende ihrer Schicht ab. Um sechs, manchmal auch um halb sieben.«
    Â»Und wer wartete mit ihr zusammen?«
    Â»Früher war das Calvaleen …«, setzte Henry an.
    Â»Ich unterrichte hier bis sieben«, fiel ihm Madame Merle ins Wort. »Bis dahin war sie immer abgeholt worden.«
    Â»Calvaleen?« Clare sah Henry an.
    Die Ballettlehrerin drehte sich auf einem Ballen graziös um hundertachtzig Grad.
    Â»Eine unserer älteren Tänzerinnen. Sie hat aufgehört. Yasmin bewunderte sie – die beiden hatten denselben familiären Hintergrund –, aber sie kommt seit einiger Zeit nicht mehr.«
    Â»War Yasmin mit sonst jemandem näher bekannt?«
    Â»Das weiß ich nicht. Sie war so viel besser als die anderen Mädchen. Ist – sie ist so viel besser …« Ihre Stimme versiegte; ihr Schweigen hing in der kalten Luft. »Verzeihen Sie. Aber wir … wir hatten in der letzten Zeit so viel um die Ohren.«
    Â»Sie haben am Freitag früher Schluss gemacht«, sagte Clare. »Wie wurden die Eltern informiert?«
    Â»Die Kinder bekamen einen Zettel mit, den sie unterschrieben zurückbringen mussten«, antwortete Madame Merle. »Ich bin noch nicht besonders gut in E-Mails.«
    Â»Hat Yasmin ihren Zettel abgegeben?«
    Â»Das muss sie wohl.«
    Â»Wer sammelt die Zettel ein?«
    Â»Das macht Henry.«

    Â»Kann ich sie sehen?«, bat Clare.
    Â»Holen Sie bitte den Ordner?« Madame Merle wandte sich an Henry. »Er liegt in meinem Schreibtisch in der obersten Schublade.«
    Â»Die Umkleideräume«, sagte Clare.
    Â»Natürlich. Hier entlang.« Clare folgte Madame Merle durch den düsteren Korridor.
    Â»Nicht viele Kinder bringen die Disziplin auf, die das Ballett abverlangt«, verkündete Madame Merle. »Und schon gar keine eingeschüchterten Kinder. Yasmin war eine von wenigen.«
    Wieder das »war«. Clare ließ es unkommentiert.
    Â»Erzählen Sie mir von ihr.«
    Â»Sie ist ein selbstgenügsames kleines Mädchen. Zäher als die verhätschelten Vorstadt-Prinzessinnen, die ich sonst unterrichte. Und sie hatte etwas. Ein instinktives Gespür für die Musik. Fast als würde sie die Akkorde durch die Haut aufnehmen und sich von der Musik selbst bewegen lassen. Genau darum sollte es beim Tanzen gehen, um einen körperlichen Ausdruck der Musik. Und noch etwas: Yasmin war widerstandsfähiger, als es ihr Alter vermuten ließ.«
    Â»Sie haben gesagt, sie ist kein einfaches Kind.«
    Â»Wie sollte sie das auch sein?«, war die Erwiderung. »Sehen Sie sich ihren Vater an. Er hält sich für das Gesetz persönlich.«
    Â»Wie hat sie am Freitag auf Sie gewirkt?«
    Madame Merle schloss versonnen die halb offenen Lider. »Vielleicht ein bisschen verschüchtert. Vielleicht auch nicht. Vielleicht wollte sie sich nur umarmen lassen. Sie ist ein einsames kleines Mädchen. Sie liebt mich; so wie all meine Schülerinnen. Liebe und Angst; genau das

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