Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me
kommen kaum noch nach Hause. Zoe wohnt mit ihrem Freund in Leeds. Das soll ich keinem erzählen, weil sie nicht will, dass Daddy es erfährt, aber das spielt jetzt ja wohl keine Rolle mehr.
Als Zoe ausgezogen ist, hat sie mir ihre Lieblingsohrenwärmer und ihren Pu-der-Bär-Teddy geschenkt, der absolut riesig ist.« Sie deutet die Größe mit den Händen an. »Sie hat ihn auf irgendeiner Kirmes gewonnen. Ich weiß nicht mehr, was sie dafür machen musste, aber sie wirft ziemlich gut auf Körbe. Sie hat in der Schule Korbball gespielt – bis Sie-wissen-schon passiert ist. Als sie ausgezogen ist, hat sie mir gesagt, dass ich auch weggehen sollte, sobald ich könnte. Oder noch eher.«
»Warum hat sie das gesagt?«
Sienna streckt die Hand aus und streicht mit einem Finger durch den Ring aus Kondenswasser, den ihre Getränkedose auf dem Tisch hinterlassen hat.
»Sie hat auf mich aufgepasst.«
»Inwiefern?«
»Sie hat mir gesagt, wo es sicher ist und wo nicht.«
»Wo ist es denn nicht sicher?«
»Im Bad, es sei denn die Tür ist abgeschlossen, abends im Auto, im Schuppen, auf dem Sofa und sogar in meinem neuen Zimmer, wenn ich alleine im Haus war.«
Cray richtet sich auf und wappnet sich innerlich, weil sie weiß, dass sie die naheliegende Frage stellen muss.
»Warum war es dort nicht sicher?«
Sienna legt ihre Stirn auf die Arme und schließt die Augen. »Was hat Zoe gesagt?«
»Ich frage dich. Hat dein Vater dich je unsittlich berührt?«
Sie antwortet mit gedämpfter Stimme. »Schon lange nicht mehr.«
»Was soll das heißen?«
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr.«
DCI Cray sieht Sienna schweigend an, ihr Gesicht wirkt im Licht der Halogenlampe müde und ausgelaugt.
»Warum hast du deinen Vater erstochen?«
Siennas Stirn rollt auf ihren Unterarmen hin und her. Ihre Augen sind geschlossen.
»Er sah aus, als würde er schlafen. Ich dachte, er wollte mich erschrecken, indem er so tut.«
»Indem er wie tut?«
»Indem er so tut, als wäre er tot.«
»Warum dachtest du, dass er tot ist?«
»Er lag auf dem Boden.«
»Hat er dich angegriffen?«
»Nein.«
»Warum hast du ihn dann geschlagen?«
Siennas Bewusstsein schaltet plötzlich um.
»Ich sollte traurig sein. Ich habe versucht zu weinen. Ich habe mir fest die Augen gerieben, bis sie rot sind. Ich habe sie gepiekst, damit sie tränen. Ich möchte gern weinen können, aber ich spüre gar nichts.«
»Erzähl mir von dem Messer«, fährt Cray fort.
Sienna scheint ihr nicht zuzuhören.
»Glauben Sie, dass Daddy im Himmel ist? Früher habe ich mit Reverend Malouf geredet. Er hat mir erklärt, dass Gott alle Antworten weiß, aber irgendwie konnte ich nicht glauben, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Wenn er zurückgekommen ist, warum ist er dann nicht geblieben und hat das ganze Ding selbst auf den Weg gebracht? Stattdessen ist er in den Himmel zurückgekehrt, und die Menschen haben ihn vergessen.
Daddy hat den Leuten immer erzählt, er wäre Agnostiker, was nicht das Gleiche ist wie ein Atheist, aber ich verstehe den Unterschied nicht. Reverend Malouf hat mal versucht, es mir zu erklären. Er meinte, ein Agnostiker wäre jemand, der sich nicht entscheiden kann.«
»Irgendwann musst du mit uns reden. Es ist nur zu deinem Besten«, sagt Cray.
»Warum sagen alle ständig, dass irgendwas zu meinem Besten wäre?«, gibt Sienna zurück und sieht Detective Cray direkt an. Etwas in ihrer Stimme klingt so alt und müde, dass Cray davon überrascht wird.
»Mum weint«, fährt Sienna fort, »Lance ist wütend, Zoe nicht hier und Daddy tot. Was ich tue oder sage, spielt keine Rolle.«
»Doch. Wir geben dir Gelegenheit, es zu erklären.«
»Nein, das tun Sie nicht.«
»Du weichst meinen Fragen aus.«
»Ich weiche den Antworten aus. Das ist ein Unterschied. Sie wollen, dass ich mich an Dinge erinnere, aber ich kann nicht.«
Sienna zieht die Knie an und umklammert ihre Schienbeine. Sie lässt sich die Haare ins Gesicht fallen. Nach langem Schweigen findet sie ihre Stimme wieder, klein und gehetzt wie die eines jüngeren Kindes.
»Wissen Sie was? Als Zoe verkrüppelt wurde, hat sie gesagt, sie hätte Glück gehabt, weil Daddy aufhörte, sie anzufassen.
Sie war sein Liebling, wissen Sie? Die Sportliche. Er war stolz auf sie.«
Ein Stöhnen bleibt in ihrem Hals stecken. Ihre Brust zieht sich zu einer Folge kurzer Atemstöße zusammen.
»Manchmal glaube ich, wenn Daddy die Wahl gehabt hätte, hätte er sich gewünscht, dass ich und nicht Zoe im
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