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Todfeinde

Todfeinde

Titel: Todfeinde Kostenlos Bücher Online Lesen
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Schwer, nicht von ihnen eingeschüchtert zu sein. Es gab auf der ganzen Welt kein vergleichbares Gebirge: Es war erdgeschichtlich so jung, mithin scharfkantig und tödlich, dass sich ihnen noch keine Vorberge zu nähern gewagt hatten. Er fragte sich, ob Will Jensen sich an ihren Anblick gewöhnt hatte. Konnte etwas so Dramatisches je das behagliche Gefühl von Vertrautheit hervorrufen?
    Auf dem Weg in Richtung Süden durch den Grand Teton Nationalpark nach Jackson herrschte viel Verkehr, und Joes Pick-up bewegte sich inmitten einer schier endlosen Autoschlange. Riesige Wohnmobile verstopften die Landstraße. Am Steuer saßen durchweg Senioren, für die das Tempolimit von neunzig Stundenkilometern offenbar eine Herausforderung war, der sie sich nicht zu stellen wagten. Er fand sich damit ab; an Überholen war ohnehin nicht zu denken, denn der Reiseverkehr war auch auf der Gegenspur sehr dicht. Joe fuhr vorsichtig, weil er wusste, dass bei der Sichtung eines Elchs, Wapitis oder Bären die Touristen auf die Bremse treten und mit Fotoapparaten und Camcordern aus den Autos springen würden, ohne sich vorher die Mühe zu machen, auf den Seitenstreifen abzubiegen. Links von ihm stieg das Gelände sanft zu den Gros Ventre Mountains an. Auf den Hochebenen, die von der Straße aus kaum zu sehen waren, lagen alte Ferienranches. Joe fiel ein, dass auf einer davon der Western Mein großer Freund Shane gedreht worden war, der einzige Film (womöglich das Einzige überhaupt), bei dem sein Vater und er sich je einig gewesen waren. Dann begriff er etwas, das ihn verängstigte und zugleich begeisterte: Dies war sein neuer Bezirk! In welche Richtung er auch sah – von den Tetons im Westen bis zu den Gros Ventres im Osten, vom Yellowstone Park im Norden bis nach Jackson im Süden: Dies war sein neuer Verantwortungsbereich.
    Jackson ist nur ein paar Hundert Kilometer von Saddlestring entfernt, dachte Joe – und doch ist es eine andere Welt.
    Der große, zweistöckige Neubau der Behörde besaß vorn einen Parkplatz für Besucher und auf der Rückseite einen für die Mitarbeiter diverser Ämter. Doch die einzig freie Bucht, die Joe dort vorfand, war für »W. Jensen« reserviert, und die wollte er nicht benutzen. Noch nicht. Stattdessen fuhr er vor das Gebäude zurück, parkte zwischen zwei Wohnmobilen und betrat das Gebäude durch die Flügeltür.
    In der Vorhalle wühlten Touristen in einem Aufsteller, dessen Broschüren für Reitausflüge, eine Seilbahnfahrt auf die Gipfel der Tetons, Western-Grillpartys mit Küchenwagen, Wildwasserfahrten und andere Ausflüge sowie für Unterkünfte warben.
    Eine dunkelhäutige, runzelige Frau mit rabenschwarzem Haar musterte ihn über den goldenen Rand ihrer Brille, als er sich mit Tagesrucksack und ramponierter Aktentasche ihrem Schalter näherte. Er nickte mit der Hutkrempe, und sie nickte zurück.
    »Joe Pickett«, sagte er.
    Sie stand auf und war kaum größer als zuvor. »Mary Seels. Wir hatten Sie vor fünf Tagen erwartet.«
    »Hallo, Mary. Ich musste meinem Chef bei einem Bären behilflich sein. Eigentlich hätte die Zentrale Ihnen Bescheid geben sollen, dass ich später komme.«
    Sie begutachtete ihn. Er glaubte, ein leichtes Lächeln um ihre Mundwinkel zu sehen – als würde sie versuchen, ihre Belustigung verbergen. »Ich habe von Ihnen gehört.«
    Er nickte erneut, ließ sich aber nicht ködern und zu der Frage verleiten: Was haben Sie gehört? Doch er glaubte, sie bereits durchschaut zu haben – zum einen, weil sie ihn mit derselben leidenschaftslosen Schärfe ansah, wie sie im Blick von Nates Falken lag; zum anderen aufgrund der Art und Weise, wie sie ihr angeborenes Revierverhalten unterstrich. Mary schmeißt hier den Laden, dachte er. Sie taxierte ihn, als wäre er – den Hut in der Hand – hereingekommen und hätte nach dem letzten freien Bett in der Stadt gefragt, und als besäße sie die Macht, es ihm zu geben oder nicht.
    »Will meinte, Sie sind ein anständiger Kerl«, sagte sie.
    »Das freut mich zu hören. Ich habe große Stücke auf ihn gehalten.«
    »Wenn Will meint, Sie sind ein anständiger Kerl, dann ist das so«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Joe. »Ich nehme an, Sie wollen sein Büro benutzen?«
    Joe sträubte sich innerlich dagegen. Er hatte sich nicht auf Wills Parkplatz gestellt, weil er das Gefühl gehabt hatte, unberechtigt in fremdes Territorium einzudringen.
    »Wie viele Büros gibt es denn hier?«
    Sie zählte leise durch und neigte dabei den Kopf wie

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