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Todfeinde

Todfeinde

Titel: Todfeinde Kostenlos Bücher Online Lesen
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haben musste – auf keinen Fall Will selbst.
    An der linken Wand hing eine wuchtige Landkarte der US -Forstverwaltung, die den Bezirk Jackson-Nord in großem Maßstab zeigte. Mit kleinen Papierfahnen versehene, von eins bis siebenunddreißig durchnummerierte Stecknadeln zeigten, wo sich die Lager der zugelassenen Jagdführer befanden. Sie folgten dem Einzugsgebiet der Flüsse und Bäche Richtung Yellowstone.
    Joe setzte sich auf Wills Platz. Ein Teil von ihm sträubte sich noch immer, sich an dieses Zimmer zu gewöhnen. Der Stuhl war unbequem und weit älter als das Gebäude selbst. Ob einer der Angestellten ihn nach Wills Ableben ausgetauscht hatte? Er schob den Kuli beiseite und betrachtete das Spiralnotizbuch. Auf dem roten Einband stand groß und mit schwarzem Filzstift »Nr. 10«. Das Buch enthielt Einträge in winziger Blockschrift:
    2.10., 0600 – Rosie’s / Box Creek.
    MI 567B schwarzer GMC / Rosie’s / Anruf / Okay.
    PA 983 silberner Ford 3/4-Tonner / Rosie’s / Anruf / Okay.
    WY 2-4 BX grüner Yukon / Rosie’s / Anruf / ohne Geweih. Anzeige.
    1700 – Turpin. 6 W-Böcke, 2 Einj., 2 WW -Hirsche. Okay …
    Joe brauchte nicht lange, um Wills Kurzeinträge zu entschlüsseln. Sie ähnelten den Notizen, die er selbst im Gelände machte. Übersetzt besagten sie, dass Will am zweiten Oktober um sechs Uhr morgens im Gebiet von Rosie’s Ridge und Box Creek mit dem Pick-up unterwegs gewesen war und Wapiti-Jäger überprüft hatte. Da sie ihre Fahrzeuge am Straßenrand geparkt hatten und in dem weitläufigen Areal auf die Pirsch gegangen waren, hatte er die Nummernschilder eines schwarzen GMC -Geländewagens aus Michigan, eines silbernen Ford-Dreivierteltonners aus Pennsylvania und eines grünen Yukon aus Wyoming notiert und an die Zentrale gefunkt, um per Computerabgleich die Namen der Jäger ermitteln und feststellen zu lassen, ob sie für dieses Gebiet eine Wapiti-Abschussgenehmigung der Jagd- und Fischereibehörde erworben hatten. Während die beiden Jäger aus den fremden Bundesstaaten diese Genehmigung besaßen (daher das »Okay« der Zentrale), hatte der Jäger aus Wyoming nur die Erlaubnis, geweihlose Wapitis zu jagen. Für ihn begann die Saison also erst zwei Wochen später. Will hatte den Jäger aufgespürt, sich davon überzeugt, dass er gegen das Gesetz verstoßen hatte, und eine Anzeige erstellt.
    Nachmittags um fünf hatte er dann den Zeltplatz Turpin Meadow kontrolliert, in etwa zu der Zeit, als die ersten Jäger aus den abgelegenen Jagdgebieten ins Lager zurückkehrten. Sie hatten sechs Wapitiböcke, zwei einjährige Wapitibullen und zwei Weißwedelhirsche erlegt. Alle Abschüsse waren sauber und legal, und die Jäger besaßen die erforderlichen Genehmigungen, denn Will hatte keine Verwarnungen oder Anzeigen vermerkt.
    Joe schloss das Notizbuch und lehnte sich im Stuhl zurück. Aus den entschlüsselten Einträgen ergab sich ein genaues Bild von Wills Bewegungen im Gelände und seinen Amtshandlungen. Anhand des Notizbuchs, des Anzeigenblocks und des aufgezeichneten Funkverkehrs ließ sich problemlos nachvollziehen, was Will Tag für Tag getan hatte. Joe fand das in Anbetracht der Umstände beruhigend, da fast jeder, den er im Gelände traf, bewaffnet war. Die wenigen Aufseher, denen das nicht gefiel, gingen – darüber war er sich im Klaren – außerplanmäßigen Aktivitäten wie Trinken bei der Arbeit oder Besuchen bei einsamen Ehefrauen nach.
    Er öffnete Notizbuch »Nr. 10« erneut und überflog es. Da noch nicht Oktober war, stammte es aus einem früheren Jahr. Auf dem letzten beschrifteten Blatt entdeckte Joe, dass Will in winziger Schrift die Jahreszahl vom Vorjahr angefügt hatte. Dann folgten zwanzig unbeschriebene Seiten. Er blätterte nach vorn zurück und stellte fest, dass der erste Eintrag vom zweiten Januar stammte. Also verwendete Will für jedes Jahr ein Notizbuch.
    Er schob den Stuhl zurück und öffnete die Schubladen. Sie waren erstaunlich leer. Ein weiteres Anzeichen dafür, dass sich Will nur selten hier aufgehalten hatte. Doch in der untersten Lade fand Joe einen Stapel teils neuer, teils benutzter Notizbücher, die so aussahen wie das auf dem Schreibtisch. Er nahm sie heraus und breitete sie vor sich aus. Die mit Einträgen versehenen Bücher trugen die Nummern 1 bis 9 und waren infolge intensiver Beanspruchung ziemlich ramponiert. Das zehnte Buch hatte er sich schon angesehen. Dazu kamen vier unbenutzte Bücher, alle gebunden. Ganz unten in der Lade lag die zerknüllte

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