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Todfeinde

Todfeinde

Titel: Todfeinde Kostenlos Bücher Online Lesen
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wolkenlosen Himmels verschwand die Sonne hinterm Horizont und auf der anderen ging der Mond auf, als Joe mit Reit- und Packpferd den Kamm der Kontinentalen Wasserscheide verließ und sich auf den Two Ocean Pass begab. Es war still und kalt, als er durch die Wiesen ritt; die einzigen Geräusche waren die gedämpften Tritte seiner Tiere im dichten, verfilzten Gras.
    Er hielt sein Pferd an und sah sich um. Es war, wie von Susan Jensen beschrieben, aber noch intensiver. Joe begriff, warum Will diesen Ort ausgesucht hatte. Der Two Ocean Creek floss schmal und klar durch die Wiese und teilte sich an einer einsamen Fichte. Eine Ader floss ostwärts zum Atlantik, die andere westwärts zum Pazifik. Jenseits des Passes befand sich nicht nur das gewaltige Einzugsgebiet des Yellowstone River, sondern auch die Thorofare, die ursprünglichste und entlegenste Wildnis der USA , von Alaska einmal abgesehen. Ihre Weiträumigkeit war verblüffend: ein rauer Teppich aus dunklen Bäumen und dazu erstaunlich blaue Berge, so weit das Auge reichte. Die Orientierungspunkte ringsum identifizierte er mithilfe der Landkarte: Box Creek, Mount Randolph, Mount Leidy, Terrace Mountain, Jackson Peak. Der Joy Peak verdankte seinen Namen der Ähnlichkeit mit einer Brustwarze. Im Süden schnitten die Kristallklingen der Tetons in den Himmel.
    Joe war den ganzen Tag unterwegs gewesen, um hierher zu gelangen, und nun dämmerte es. Er war durch zwei Schneestürme und etliche Bäche geritten und hatte sich plötzlich einer hageren Schwarzbärin gegenübergesehen, die so darin vertieft gewesen war, das letzte Essbare aus einem verrotteten Baumstamm zu schälen, dass sie ihn gar nicht hatte herankommen hören. Zum Glück war das Tier krachend ins Unterholz geflohen. Joe war froh, dass seine Pferde keine Furcht gezeigt hatten und bei diesem Vorfall sogar ruhiger geblieben waren als er. Der Anblick des Bären hatte ihn daran erinnert, die Schrotflinte zu laden. Der Gewehrkolben ragte nun griffbereit aus der Satteltasche. Will mochte seine .44er Magnum bevorzugt haben, doch Joe fühlte sich mit der Flinte erheblich wohler. Sein Bärenspray hing an einem Schlüsselband um seinen Hals.
    Er liebte die Wildnis ringsum, genoss ihre urtümliche Gefahr und Schönheit. Er fühlte sich frisch und lebendig, also ganz anders als seit seiner Ankunft in Jackson. Er konnte diese andere Welt nicht ganz ausklammern, wollte sie aber vorläufig zurückstellen. Doch die Erinnerungen ließen sich nicht vertreiben.
    Da waren Beargrass Village und Don Ennis. Nachdem Joe Wills Unterlagen und Notizen erneut gelesen hatte, war er überzeugt, dass sein Vorgänger das Projekt hatte ablehnen wollen. Joe sah das ähnlich, sofern nicht neue Erkenntnisse zutage träten oder Ennis sich bereit erklärte, seine Pläne grundlegend zu überarbeiten. Ennis musste gewusst haben, wie Will sich entscheiden würde, und gewiss war ihm auch klar, wie Joe die Daten interpretierte. Beargrass Village war nichts Unausweichliches, das durch den bloßen Willen von Don Ennis und seinen Investoren aus den Bergen gemeißelt wurde, sondern ein mit gewaltigen Problemen behaftetes Projekt, und Joe hatte diese Probleme genauso erkannt wie Will. Ob Ennis seine Beurteilung akzeptieren würde, blieb abzuwarten. Nach seiner Begegnung mit ihm bezweifelte Joe das allerdings. Ein Kampf drohte. Wie weit würde Ennis gehen, um zu gewinnen?
    Und dann war da Stella. Beim Gedanken an sie spürte Joe, dass er noch ein wenig tiefer in den Sattel sank. Stella war ein Rätsel, obwohl sie ihm deutlich genug zu verstehen gegeben hatte, worauf sie aus war. Obwohl sie sagte, sie suche Authentizität, hatte sie sich für ein Leben der Maskerade entschieden – sie war mit einem Mann verheiratet, der sie möglicherweise hasste, und lebte mit ihm im Ferienort Jackson Hole. Was mochte sie dort halten? Und warum hatte sie Will gewählt? Bloß der Uniform wegen? Das glaubte Joe nicht. Es war mehr gewesen, viel mehr. Als hätte sie sich damit abgefunden, von anderen aufgrund ihrer Schönheit und der Umstände (egal, welcher) in eine Schublade gesteckt zu werden, und erst spät begriffen, dass sie die Dinge ändern konnte. Nach Wills Tod hatte sie in Joe Pickett Ersatz gefunden – so jedenfalls sah es aus.
    Warum dachte er immer wieder an sie? War es neben ihrem Auftreten und ihrer Schönheit ebenso der Reiz des Verbotenen, der sie für ihn so anziehend machte? Susan Jensen hatte Stella als Raubtier bezeichnet. Vielleicht war sie das ja.

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