Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
Aber ganz
sicher sollte es kein Roman werden.« Sie griff sich in die Haare und seufzte
schwer. »Jetzt wissen es alle, alle kennen den schmählichen Verrat meines
Vorfahren.«
»Hat Ihre Familie
in all den Jahrzehnten denn immer Kontakt zu den Hovermanns gepflegt?«
Das schmatzende
Geräusch, mit dem sie erneut ein Stück Brot in die Soße tunkte, verriet, dass
das Thema ihren Appetit nicht beeinträchtigte.
»In den dreißiger
Jahren des letzten Jahrhunderts gab es sogar eine Ehe zwischen einer Schulze
Nüßing und einem Hovermann. Es gibt Zweige der Familie, die treffen sich
regelmäßig, andere sind weggezogen, haben geheiratet oder sind beruflich zu
sehr beansprucht, sie tauchen nur als Namen im Stammbaum auf. Den alten Hof der
Schulze Nüßings gibt es natürlich noch. Heute ist die Landwirtschaft aber nur
noch ein Nebenerwerb, eigentlich eine Liebhaberei. Die jetzigen Besitzer haben
eine Art Reiterhof daraus gemacht mit Ponys, Streichelzoo und anderen
Aktivitäten, die Kinder lieben. Der Betrieb läuft recht gut. Mein Großvater ist
auf dem Hof aufgewachsen. Wahrscheinlich hat er das Tagebuch irgendwann
gefunden, aber offenbar hat er es nie jemandem gezeigt.«
Ich zuckte zusammen,
als Cornelia ihre Faust auf den Tisch niedersausen ließ, dass er bebte. »Nur
mein einfältiger Bruder, der zu bequem ist, sich selbst eine Geschichte
auszudenken, sorgt nun für eine tausendfache Veröffentlichung.«
»Er hat die
Geschichte aber sehr gut nacherzählt, er hat durchaus Talent zum Schreiben«,
wagte ich als sein Lektor laut auszusprechen.
Der finstere
Blick, der mich traf, hätte mich eigentlich genauso mitnehmen müssen wie der
Gedanke an mein baldiges Ableben. Cornelia stellte die Teller zusammen und ging
in die Kochnische. Ich trug den Rest unseres opulenten Mahls hinterher und
bekam zwei Glasschälchen von Ikea in die Hände gedrückt. Instinktiv zog ich den
Bauch ein, um zu überprüfen, ob ich mir noch einen Nachtisch leisten konnte.
Bei dieser Frau hätte ich unbedingt damit rechnen müssen. Cornelia räumte alles
so geschickt zusammen, dass die Küche in null Komma nichts aufgeräumt aussah,
obgleich das benutzte Geschirr noch gar nicht gespült war.
Statt des von mir
erwarteten Schokoladenpuddings stellte sie eine Schüssel mit Quark und
Rumfrüchten auf den Tisch.
»Finden Sie, dass
ich zu viel esse?«, fragte sie plötzlich.
Erschrocken wandte
ich den Blick von ihrem gefüllten Schälchen ab und aß selbst von meiner
Portion. »Natürlich nicht. Es macht Spaß, mit Ihnen zu schlemmen.«
Und dann stellte
ich die Frage, die mich tief in ihre Geschichte verwickeln sollte.
»Ihr Bruder
beschreibt in seinem Roman, wo der Vater die Leiche des anderen Sohnes
verscharrt hat. War das literarische Freiheit, oder gibt es wirklich einen
Hinweis, wo die Leiche liegen müsste?«
Als sie mich mit
halb geöffnetem Mund, den Löffel noch in der Luft, anstarrte, sah sie aus wie
ein Kind. Sie fasste sich schnell. »Im Buch ist es an der ehemaligen
Feldscheune, wenn ich das richtig in Erinnerung habe«, sagte sie. »Aber bevor
wir dort graben, werde ich meinen Bruder fragen, ob er diesen Hinweis aus den
Aufzeichnungen hat.«
Beinahe hastig
löffelte sie ihren Quark, während ich überlegte, wie ich einen Herzinfarkt
vortäuschen konnte. Ich weiß, dass man mit so etwas keine Scherze treiben soll,
doch was hatte ich noch zu befürchten, außer für meine verbleibenden drei Tage
das falsche Aktionsprogramm zu buchen?
Cornelia stand
bereits in der Küche und suchte ihr Handy. »Keine Hektik, ich denke, wir
sollten erst kurz vor Morgengrauen los. Dann sehen wir etwas mehr, und der
Strahl einer Taschenlampe fällt nicht so auf.«
Der Quark, so
geschmeidig und sahnig, blieb mir im Halse stecken. Ich sah schon die
Schlagzeilen in der Tageszeitung: »Cheflektor sucht Grabstätte aus einem Roman
auf. Wie neue Autoren alte Hasen an der Nase herumführen«.
»Cornelia, Sie
glauben doch nicht etwa, dass ich heute Nacht mit Ihnen alte Mordopfer
ausgrabe. Das machen Sie mal schön mit Ihrem Bruder oder, noch besser, mit einem
Anwalt.«
Sie funkelte mich
an und beugte sich so über den Tisch, dass ihr Dekolleté ihr Argument
wirkungsvoll unterstützte. »Sie sind ein Feigling. Dort, wo ich gerade
gearbeitet habe, lässt ein Mann eine Frau nicht einmal tagsüber allein zum Auto
gehen, und er fragt nie, wohin oder warum, wenn sie ihn um eine schützende
Begleitung bittet.«
»Ich nehme an, in
diesem Land ist die Zahl der
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