Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
nicht an
beiden Knien wehtun konnte, hatte der Schuss wohl nur den Ärmel meines Jacketts
durchbohrt. Ich setzte den Wagen einige Schritte zurück und hielt dicht neben
einem Graben an, auf dessen anderer Seite sich Cornelia befand. Aufmerksam blickte
ich in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren, doch ich konnte
niemanden entdecken. Würde uns irgendjemand glauben, wenn wir nicht einmal eine
vage Personenbeschreibung geben konnten?
Cornelia sprang
mit entschlossener Miene hinter dem Baum hervor, hechtete über den Graben und
dann so schnell ins Auto, dass sie zur Seite fiel und mir ihren Ellbogen in den
Oberschenkel rammte. Eine weitere Blessur, aber angesichts eines wild
gewordenen Schützen und einer ausgebluteten Leiche sollte ich solche Kleinigkeiten
wohl klaglos hinnehmen.
Während ich über
die Landstraße raste, in die falsche Richtung und völlig ziellos, wie ich
inzwischen weiß, starrte Cornelia Nüßing mich an. Ihre Mundwinkel zuckten, und
ich schaute schnell wieder auf die Straße, als könnte ich so vermeiden, dass
sie in Tränen ausbrach. Doch meine Begleiterin lachte plötzlich aus vollem
Halse und schüttelte mit beiden Händen ihre Haare auf. »Meine Güte, dass man
mit Ihnen solche Abenteuer erleben kann, hätte ich nie erwartet!«
»Ich glaube kaum,
dass der Mann wegen mir ermordet worden ist. Und bislang hielt mich auch
niemand für so bedrohlich, dass er auf mich geschossen hat.« So komisch fand
ich das alles nicht.
»Ja, aber Sie
haben toll mitgemacht. Also, wie Sie sich erst auf die Knie fallen ließen und
dann nach vorne, und dann – zack! – nach rechts ins Feld gerollt sind, das war
mehr, als ich von einem Lektor mittleren Alters erwartet hätte.« Sie fuchtelte
beim Reden derartig mit ihren Armen herum, dass ich bereits den nächsten blauen
Fleck kommen sah.
»Alles Routine«,
scherzte ich, »Stalingrad 1944, die Heckenschützen am Waldrand, das war
wirklich mörderisch.«
Wieder lachte sie
laut, und unverhofft bekam ich einen schnellen Kuss auf die Wange. »Sie sind
ein komischer Kauz, Michael.« Dann spielte sie etwas verlegen mit der Kordel
ihrer Jacke. »Sie müssen wenden, wenn wir nach Münster zurück wollen.«
Ich wollte und
wendete bei der nächsten Gelegenheit. Sie sprach weiter. »Am besten fahren wir
erst in zwei, drei Tagen wieder hin. Heute wird sicher jede Menge Polizei dort
sein.«
Gut, dann wusste
ich zumindest, woran ich sterben würde. Um diese Zeit lief meine Galgenfrist
ab. Laut sagte ich aber: »Ich werde Ihnen jetzt mal sagen, was wir machen. Wir
fahren zur Polizei und melden sowohl den Mord als auch die Schüsse auf uns. Und
zudem den Verdacht, dass unter diesem Baum noch eine weitere, weitaus ältere
Leiche liegt. In zwei Stunden wissen Sie dann auf eine sehr viel weniger
abenteuerliche Art und Weise, ob sich Ihr Vorfahre tatsächlich eines schrecklichen
Verbrechens schuldig gemacht hat.«
Sie wandte mir
rasch ihren hübschen Kopf zu und wollte schon auffahren, doch dann meinte sie
nur: »Ich habe Ihnen ja gesagt, dass es Mord und Totschlag geben wird, weil Sie
das Buch veröffentlicht haben.«
Die nächste
Polizeistation befand sich, soweit ich wusste, an der Autobahn. Ich hatte keine
Ahnung, ob die Autobahnpolizei auch für Mord auf Bauernhöfen in der Umgebung
zuständig war, aber irgendetwas würden sie wohl unternehmen.
Mittlerweile war
es halb acht Uhr morgens, und die Autobahn füllte sich merklich. In der Nähe
der Abfahrt Greven, wo sich die Wache befand, parkten wir zwischen einem alten
grünen Polizeiwagen und einem neuen blau-weißen Wagen. Aus diesem stiegen
soeben eine junge Frau in Dienstkleidung, ein älterer Kollege und ein erkennbar
betrunkener Mann von vielleicht zwanzig Jahren. Er sah eigentlich sehr adrett,
beinahe bieder aus, zeigte allerdings diese Art von Teilnahmslosigkeit, die
mehr Verzweiflung als Coolness verriet.
Hinter den dreien
betraten wir die Wache und befanden uns in einem Vorraum, der ungefähr so
einladend war wie eine Bahnhofshalle im Osten kurz nach der Wende. Dahinter,
getrennt durch eine Glasscheibe und eine schwere Tür, war das eigentliche
Polizeibüro. Diese Sicherheitstür stand nun offen. Wir folgten einfach dem
alkoholisierten Mann und seinen Begleitern.
»Sind Sie die
Angehörigen?« Ein schwerer Mann in Uniform stellte sich uns plötzlich in den
Weg, die hellen Augenbrauen grimmig verzogen. Sein Kopf wirkte etwas zu schmal
für seinen kräftigen Körper, und er roch nach Aftershave und
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