Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
keine Antwort erwartete. Und richtig, er
sprach weiter.
»Ich bin ein Mann
Gottes, wie man so schön sagt. Schauen Sie in die Bibel. Sie ist voll von
derartigen Geschichten. Ob Sie daran glauben, müssen Sie selbst entscheiden.«
Das Gespräch lief
nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. »Was raten Sie mir? Wie soll ich
die letzten Stunden meines Lebens verbringen?«
»Als wären es Ihre
ersten Stunden auf Erden. Das soll heißen, tun Sie so, als hätten Sie alle Zeit
der Welt. Vertrauen Sie.«
»Auf was? Auf
wen?«
Ich sah ihn
innerlich stöhnen. Dabei hatte ich das Gefühl, dass er mich provozieren wollte,
und war ganz unruhig vor Sorge, er könnte sich gleich erheben und mich mit
meinen vielen Fragen alleinlassen. Ja, wenn man glaubte, dass Gott einen mit
offenen Armen gleich beim Beerdigungsunternehmer abholte und freudig in den
Garten Eden brachte, dann konnte man es vielleicht gar nicht abwarten zu
sterben. Allerdings hatte ich nicht einmal unter den frömmsten Kirchgängern
solche Sterbewilligen kennengelernt. Alle Menschen hatten Angst vor dem Tod.
Alle.
Martin Albrecht
beugte sich vor. »Können Sie sich vorstellen, dass diese Dame den Auftrag hat,
Sie zu töten, und dies in einem Anflug von makabrem Humor am Strand angekündigt
hat?«
Ich schüttelte den
Kopf. »Ausgeschlossen, nein! Mit dieser Frau stimmte etwas grundsätzlich nicht.
Es war auch nichts Bedrohliches, was von ihr ausging.« Ich kaute an meiner
Unterlippe, um die richtigen Worte zu finden. »Sie besaß eher so eine wissende
Gelassenheit, eine Leichtigkeit, als wären ihr die irdischen Probleme fremd.
Die Erdanziehungskraft wirkte bei ihr kaum. Deshalb hinterließ sie wohl auch
keine Fußabdrücke.«
Martin Albrecht
nickte gedankenverloren, und es dauerte einige Sekunden, bis er wieder sprach.
»Wenn jemand weiß, wie zum Beispiel diese Frau, dass Sie in so und so vielen
Tagen sterben werden, dann steckt doch ein Plan dahinter.« Er hob die Stimme
und schaute mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern und nickte, eine
etwas ambivalente Antwort, die ihm aber zu genügen schien. »Und wenn es einen
genauen Plan gibt, verbirgt sich auch jemand dahinter, eine höhere Macht. Und
die können wir doch ruhig Gott nennen.« Das klang verlockend logisch.
Dann lehnte er
sich auf meiner Couch zurück und gab zu bedenken: »Sie können die ganze
Geschichte natürlich auch als ein Konstrukt Ihres überarbeiteten Geistes abtun.
Sie haben möglicherweise diese verhängnisvoll prophezeienden Worte der Dame
gehört, aber eigentlich könnte sie etwas ganz anderes zu Ihnen gesagt haben. So
etwas kommt vor. Der plötzliche Herztod eines älteren Hotelgastes allein ist
kein Beweis, so etwas ist möglich, es geschieht jeden Tag. Aber wenn Sie so
denken würden, hätten Sie nicht mich kommen lassen, sondern einen Neurologen,
stimmt’s?« Er lachte dieses jungenhafte Lachen, das mich bei unserem ersten
Treffen schon für ihn eingenommen hatte.
»Wie kommt ein
junger Mensch dazu, ins Kloster zu gehen?«
Noch einmal lachte
er, aber nun klang es etwas angestrengt. Das machte mir bewusst, dass ich diese
Frage laut gestellt hatte. Doch er wurde schnell wieder ernst und erzählte von
seiner großen Liebe zu einer Frau, mit der er sich irgendwann verlobt hatte und
die drei Monate vor der Hochzeit bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen
war. »Ich bin immer schon gern in die Kirche gegangen, war fasziniert von den
Geschichten und Ritualen besonders der katholischen Kirche, und nach diesem
Schicksalsschlag wollte ich meinen Glauben vertiefen. Er schien mir plötzlich
so gefährdet. Ich hatte Sorge, dass ich, wenn ich mich der Trauer und der Wut
über die Ungerechtigkeiten dieser Welt hingab, auf eine falsche Spur geraten
würde: weg von Gott, weg vom Vertrauen auf das Gute, und hin zur
Oberflächlichkeit und zu einem bitteren Zynismus, der auch anderen Menschen die
Laune verderben konnte.« Er machte eine kleine Pause und senkte den Kopf. »Ich
bin also nicht ins Kloster gegangen, weil ich so fest im Glauben war, sondern
weil mir der Boden wegbrach und ich ins Trudeln geriet. Mein Glaube an Gott war
zu jener Zeit schwach.«
»Sie haben
gefunden, was Sie gesucht haben?«
»O ja, und noch
viel mehr als das, aber es war ein harter Weg, vor allem für meine Umgebung.«
Sein Lächeln war ein bisschen schief.
»Ist es schwierig,
mit Ihrer Kaffeemaschine umzugehen? Sonst würde ich mir gern noch einen holen.«
Er stand auf, und ich freute mich wie ein Kind,
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