Todsünde
sagt, dass die Schwestern nirgendwo sonst hinkönnen, und darum halten sie sich immer an die Regeln, weil sie sich nicht aus dem Kloster raustrauen.« Noni blickte zu Rizzoli auf und fügte voller Stolz hinzu: »Aber ich gehe raus, wann ich will.«
Weil du vor nichts Angst hast, dachte Rizzoli. Du bist ein mutiges Mädchen.
Noni begann eine Furche in den Schnee zu trampeln. Mit militärischer Präzision setzte sie einen pinkfarbenen Stiefel vor den anderen. Nachdem die erste Bahn fertig war, machte sie kehrt und trampelte eine zweite, parallele Linie. Sie hält sich für unbesiegbar, dachte Rizzoli. Dabei ist sie so klein und verletzlich. Nur ein hilfloses kleines Würmchen in einer dick wattierten Jacke.
»Und was ist dann passiert, Noni?«
Das Mädchen kam durch den Schnee auf sie zumarschiert und blieb abrupt stehen, den Blick auf ihre schneebedeckten Stiefel gesenkt. »Die Frau hat einen Brief durchs Tor gesteckt.« Noni beugte sich vor und flüsterte: »Und da hab ich gesehen, dass sie keine Finger hat.«
»Hast du Schwester Ursula den Brief gegeben?« Das Mädchen nickte so eifrig, dass ihre Locken wie Drahtfedern wackelten. »Und sie ist sofort zu ihnen rausgegangen!«
»Hat sie mit den Leuten geredet?« Kopfschütteln. »Warum nicht?«
»Weil sie schon weg waren, als sie rauskam.«
Rizzoli wandte sich zum Tor um und starrte hinaus auf den Gehsteig, wo die beiden Besucher gestanden und dieses störrische Kind angefleht hatten, sie einzulassen. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten. Die Rattenfrau. Sie war hier .
16
Rizzoli trat aus dem Krankenhauslift, marschierte an dem Schild mit der Aufschrift Zutritt für Besucher nur nach Anmeldung vorbei und stieß die Doppeltür zur Intensivstation auf. Es war ein Uhr nachts, und die Beleuchtung war gedämpft, damit die Patienten schlafen konnten. Nach dem hell erleuchteten Flur fand sie sich plötzlich in einem abgedunkelten Bereich, in dem die Schwestern und Pfleger nur als gesichtslose Silhouetten erschienen. In einem einzigen Zimmer brannte helles Licht. Sofort steuerte sie darauf zu.
Die schwarze Polizistin, die an der Tür Wache hielt, begrüßte Rizzoli. »Hallo, Detective! Sie waren aber schnell hier.«
»Hat sie schon was gesagt?«
»Kann sie gar nicht. Sie hat immer noch diesen Beatmungsschlauch im Hals. Aber sie ist eindeutig bei Bewusstsein. Ihre Augen sind offen, und ich habe die Schwester sagen hören, dass sie ansprechbar ist. Sie scheinen alle ziemlich überrascht, dass sie überhaupt aufgewacht ist.«
Das Alarmsignal des Beatmungsgeräts schreckte Rizzoli auf. Als sie einen Blick durch die Tür des Zimmers warf, sah sie eine ganze Schar von Ärzten und Helfern, die sich um das Bett drängten. Sie erkannte den Neurochirurgen Dr. Yuen und den Internisten Dr. Sutcliffe, dessen blonder Pferdeschwanz so gar nicht zu dieser Versammlung ernsthafter Fachleute zu passen schien. »Was ist denn da los?«
»Ich weiß nicht«, antwortete die Polizistin. »Irgendwas mit dem Blutdruck. Dr. Sutcliffe war gerade eingetroffen, da ging plötzlich alles drunter und drüber. Dann ist Dr.Yuen dazugekommen, und seitdem sind sie da drin mit ihr beschäftigt.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, es sieht nicht besonders gut aus. Diese Maschinen piepsen schon die ganze Zeit wie verrückt.«
Rizzoli zwängte sich in die enge Kabine. Das grelle Licht schmerzte in ihren müden Augen. Von Schwester Ursula konnte sie nichts sehen, so dicht drängten sich die Helfer um ihr Bett. Doch sie konnte die Monitore über dem Bett sehen – die Kurve des Herzrhythmus erinnerte an einen Kieselstein, der über das Wasser hüpft.
»Sie versucht, sich den Tubus rauszuziehen!«, rief eine Schwester.
»Binden Sie die Hand fester!«
»... Ursula, entspannen Sie sich! Versuchen Sie, sich zu entspannen!«
»Systolischer Druck auf achtzig gesunken.«
»Warum ist sie so rot im Gesicht?«, fragte Dr. Yuen.
»Sehen Sie sich das mal an!« Er blickte nervös auf, als das Beatmungsgerät erneut zu piepsen begann.
»Der Atemwegswiderstand ist zu hoch«, antwortete eine Schwester. »Sie kämpft gegen den Respirator an.«
»Ihr Blutdruck fällt, Dr. Yuen! Systolisch bei achtzig.«
»Wir geben ihr Dopamin i.v. Los, schnell!«
Plötzlich bemerkte eine der Schwestern Rizzoli, die in der Tür stand. »Sie müssen leider draußen bleiben, Ma’am.«
»Ist sie bei Bewusstsein?«, fragte Rizzoli. »Verlassen Sie bitte sofort das Zimmer!«
»Ich kümmere mich schon
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