Todsünde
drum«, sagte Sutcliffe.
Er packte Rizzoli am Arm und zerrte sie recht unsanft zur Tür hinaus. Dann zog er den Vorhang hinter ihnen zu, so dass Rizzoli der Blick auf die Patientin versperrt war. Im Halbdunkel konnte sie die Blicke der Schwestern nur spüren, die sie von ihren Arbeitsplätzen aus beobachteten.
»Detective Rizzoli«, sagte Sutcliffe, »Sie müssen uns schon unsere Arbeit machen lassen.«
»Ich versuche doch auch nur, meine zu machen. Sie ist unsere einzige Zeugin.«
»Und ihr Zustand ist sehr kritisch. Wir müssen erst zusehen, dass sie diese Krise übersteht, bevor irgendjemand mit ihr sprechen kann.«
»Sie ist aber doch bei Bewusstsein?«
»Ja.«
»Und sie begreift, was um sie herum vorgeht?«
Er antwortete nicht sofort. In der abgedunkelten Station konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. Sie sah nur die Silhouette seiner breiten Schultern und das Funkeln seiner Augen, in denen sich der grünliche Schein der Computerbildschirme spiegelte. »Ich bin mir nicht sicher. Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie das Bewusstsein wiedererlangen würde.«
»Warum fällt ihr Blutdruck? Ist das eine neue Entwicklung?«
»Sie ist ganz plötzlich in Panik geraten, vermutlich wegen des Endotrachealtubus. Es ist ein unangenehmes und beängstigendes Gefühl, wenn man so einen Schlauch im Hals stecken hat, aber er muss nun mal drin bleiben, damit sie besser atmen kann. Wir haben ihr Valium gegeben, als ihr Blutdruck in die Höhe schoss. Und dann fing er plötzlich an, in den Keller zu gehen.«
Eine Schwester zog den Vorhang zur Seite und rief durch die Tür: »Dr. Sutcliffe?«
»Ja?«
»Ihr Blutdruck reagiert nicht, trotz Dopamin.« Sutcliffe ging wieder hinein.
Durch die offene Tür beobachtete Rizzoli das Drama, das sich nur wenige Schritte von ihr entfernt abspielte. Die Nonne hatte die Hände zu Fäusten geballt, und die Sehnen an ihren Armen zeichneten sich ab wie straff gespannte Seile, als sie sich mit aller Kraft gegen die Gurte sträubte, mit denen ihre Handgelenke an das Bettgitter gefesselt waren. Ihr Kopf war dick bandagiert, der Mund verdeckt durch den Tubus, der aus ihrem Hals ragte, doch der Rest ihres Gesichts war deutlich zu erkennen. Es sah geschwollen aus, die Wangen hochrot angelaufen. Und aus dem Gewirr von Schläuchen und dem Verbandmull, der sie wie eine Mumie einhüllte, blickten Schwester Ursulas Augen hervor wie die eines gehetzten Tieres – mit vor Angst geweiteten Pupillen zuckten die Augen nach links und nach rechts, als suchten sie verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit. Das Bettgitter rasselte wie die Eisenstäbe eines Käfigs, als sie an ihren Fesseln zerrte. Ihr ganzer Rumpf hob sich vom Bett ab, und dann ging plötzlich der Herzalarm los.
Rizzoli blickte sofort zum Monitor, der jetzt eine flache Linie anzeigte.
»Alles okay, alles okay!«, rief Sutcliffe. »Sie hat bloß eins von den Kabeln rausgerissen.« Rasch klemmte er es wieder an, und im nächsten Moment zeigte der Monitor erneut einen Rhythmus an – eine rasche Folge von Ausschlägen.
»Dopaminzufuhr erhöhen«, sagte Yuen. »Drehen Sie voll auf.«
Rizzoli sah zu, wie die Schwester den Regler am Tropf auf Schuss stellte. Kochsalzlösung strömte in Schwester Ursulas Vene. Die Augen der Nonne richteten sich auf Rizzoli. In einem letzten Aufflackern, kurz bevor ihr Blick glasig wurde, bevor der letzte Funke von Bewusstsein darin erlosch, sah Rizzoli die Todesangst in ihren Augen.
»Der Blutdruck will immer noch nicht steigen. Ist jetzt bei sechzig« Die Muskeln in Ursulas Gesicht erschlafften, ihre Hände bewegten sich nicht mehr. Der Blick der halb geschlossenen Augen ging ins Leere – es war klar, dass sie nichts mehr wahrnahmen.
»Extrasystolen!«, rief die Schwester. »Ich sehe Extrasystolen!«
Alle Blicke richteten sich auf den Herzmonitor. Die Kurve, die bis vor wenigen Sekunden noch häufige, aber regelmäßige Ausschläge gezeigt hatte, war jetzt dolchartig gezackt – ventrikuläre Extrasystolen.
»Sie ist tachykard!«, sagte Yuen.
»Ich kriege keinen Blutdruck mehr. Ihr Kreislauf ist kollabiert!«
»Machen Sie das Gitter runter! Los, los, wir müssen mit der Herzmassage anfangen!«
Rizzoli wurde rückwärts aus dem Zimmer geschoben, als eine der Schwestern zur Tür hinausstürmte und rief: »Herzalarm! Wir haben einen Herzalarm!«
Durch das Fenster beobachtete Rizzoli, wie um Ursulas Bett herum alles in hektische Aktivität ausbrach. Sie sah, wie Yuens Kopf
Weitere Kostenlose Bücher