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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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du, dass er Mikey und mich immer mit dem Staubsauger durchs Haus gejagt hat? Hat ihm einen Heidenspaß gemacht, wenn der kleine Mikey sich vor Angst fast in die Hose gemacht hat, weil er ihm gedroht hat, ihn in den Schlauch zu saugen. Aber das hast du ja nie mitgekriegt, weil Frankie es immer nur gemacht hat, wenn du nicht da warst. Du hast nie erlebt, wie fies er zu uns war.«
    Angela setzte sich an den Küchentisch und starrte die kleinen Gnocchi-Klümpchen an, die ihre Tochter geformt hatte. »Ich habe es gewusst«, sagte sie.
    »Was?«
    »Ich weiß, er hätte netter zu dir sein können. Er hätte ein besserer Bruder sein können.«
    »Und du hast ihm immer alles durchgehen lassen. Das hat uns so geärgert, Mom. Mike ist immer noch nicht drüber weg, dass du Frankie immer bevorzugt hast.«
    »Du verstehst Frankie eben nicht.«
    Rizzoli lachte. »Ich verstehe ihn nur zu gut.«
    »Setz dich, Janie. Komm schon, lass uns die Gnocchi zusammen machen. So geht es schneller.«
    Mit einem Seufzer ließ Jane sich auf den Stuhl gegenüber von
    Angela sinken. Schweigend, mit mühsam unterdrücktem Groll, begann sie, die Gnocchi mit Mehl zu bestäuben und mit dem Finger eine Delle in jedes einzelne Klümpchen zu drücken. Wie kann eine zornige Köchin dem Essen besser ihren eigenen Stempel aufdrücken als dadurch, dass sie auf jedem Happen ihren Fingerabdruck hinterlässt?
    »Du darfst nicht so hart über Frankie urteilen«, sagte Angela.
    »Wieso nicht? Bei mir nimmt er ja auch kein Blatt vor den Mund.«
    »Du weißt nicht, was er durchgemacht hat.«
    »Wenn du die Marines meinst – darüber habe ich schon mehr zu hören bekommen, als ich je wissen wollte.«
    »Nein, ich spreche von der Zeit, als er noch ganz klein war. Von dem, was ihm als Baby zugestoßen ist.«
    »Da ist ihm was zugestoßen?«
    »Es läuft mir immer noch eiskalt den Rücken runter, wenn ich daran denke, wie sein Kopf auf dem Boden aufgeschlagen ist.«
    »Wie – ist er aus seinem Bettchen gefallen?« Sie lachte. »Na ja, das könnte eine Erklärung für seinen IQ sein.«
    »Nein, das ist ganz und gar nicht zum Lachen. Es war ernst – sehr ernst. Dein Vater war damals gerade nicht zu Hause, und so musste ich mit Frankie ins Krankenhaus fahren. Sie haben ihn geröntgt, und da war ganz deutlich ein Riss zu erkennen, genau hier.« Angela fasste sich über dem Ohr an den Kopf. Das Mehl an ihren Fingern hinterließ einen hellen Fleck in ihrem dunklen Haar. »In seinem Schädel.«
    »Ich hab doch schon immer gesagt, dass er ein Loch im Kopf hat.«
    »Das ist wirklich nicht witzig, Jane. Er wäre fast gestorben.«
    »Ach was – Unkraut vergeht nicht.«
    Angela starrte die Mehlschüssel an. »Er war erst vier Monate alt«, sagte sie.
    Jane verharrte regungslos, den Finger in den weichen Teig gedrückt. Sie konnte sich Frankie nicht als Baby vorstellen. Sie konnte sich ihren Bruder beim besten Willen nicht als hilfloses, wehrloses Wesen vorstellen.
    »Die Ärzte mussten ihm Blut aus dem Gehirn ableiten. Sie sagten, es wäre möglich ...« Angela verstummte.
    »Was?«
    »Dass er etwas zurückbehalten würde.«
    Die spitze Bemerkung lag Jane schon auf der Zunge, doch sie beherrschte sich. Sie begriff, dass jetzt nicht der Moment für ihren sarkastischen Humor war.
    Angela sah sie nicht an. Sie hatte den Blick gesenkt und starrte ihre eigene Hand an, die einen Teigklumpen hielt. Sie mied es, ihrer Tochter in die Augen zu sehen.
    Vier Monate alt, dachte Jane. Irgendwas stimmt hier nicht. Wenn er erst vier Monate alt war, dann konnte er noch gar nicht krabbeln. Er konnte nicht aus seinem Gitterbettchen klettern oder sich aus dem Hochstuhl herauswinden. Ein so kleines Kind kann nur fallen, wenn jemand es fallen lässt.
    Jane sah ihre Mutter an, und plötzlich war ihr alles klar. Sie fragte sich, wie oft Angela schon mitten in der Nacht aus dem Schlaf hochgeschreckt sein musste, wenn sie an den Moment zurückdachte, als ihr das Baby aus den Händen geglitten und heruntergefallen war. Frankie, ihr Goldjunge, um ein Haar der Unachtsamkeit seiner Mutter zum Opfer gefallen.
    Sie streckte die Hand aus und tätschelte Angelas Arm.
    »Na komm, er hat sich ja dann doch noch völlig normal entwickelt, oder?«
    Angela holte tief Luft. Sie machte sich wieder daran, im Akkord Gnocchi mit Mehl zu bestäuben und mit dem Finger einzudellen.
    »Mom, Frankie war immer schon der Zäheste von uns allen.«
    »Nein, das stimmt nicht.« Angela legte ein Teigkügelchen auf das Tablett und

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