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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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nicht vor folgenschweren Irrtümern bewahren konnte. Dass er sie nicht unfehlbar machte.
    Sie betrachtete die Praktikantinnen in ihren frisch gestärkten Uniformen und dachte daran, wie sie selbst mit sechzehn gewesen war – nicht albern und gickelig wie diese Mädchen, sondern still und ernst. Schon damals hatte sie eher die dunkleren Töne im Konzert des Lebens wahrgenommen. Hatte sich instinktiv zu Melodien in Moll hingezogen gefühlt.
    Die Fahrstuhltür glitt auf, und die Mädchen drängten hinaus, eine fröhliche, rot-weiß gestreifte Schar. Maura und Sutcliffe bleiben allein zurück.
    »Die machen mich fertig«, sagte er. »Diese unbändige Energie. Ich wünschte, ich hätte nur ein Zehntel davon, besonders nach einer Nachtschicht mit Bereitschaft.« Er sah Maura an. »Kommt das bei Ihnen auch öfter vor?«
    »Nachtschichten? Wir wechseln uns turnusmäßig ab.«
    »Ihre Patienten dürften allerdings etwas geduldiger sein als meine.«
    »Na ja, bei Ihnen hier an der Front geht es sicher ein bisschen anders zu.«
    Er lachte – und verwandelte sich augenblicklich in einen blonden Surferboy mit strahlenden Augen. »Bei uns an der Front. Ja, so kommt es einem manchmal vor. Wie ein Kriegsschauplatz.«
    Die Röntgenaufnahmen lagen schon in der Stationszentrale für sie bereit. Sutcliffe nahm den großen Umschlag und ging damit in einen Nebenraum mit Leuchtkästen an der Wand. Er klemmte eine Reihe von Aufnahmen an den Kasten und drückte auf den Schalter.
    Das Licht flackerte auf, und Aufnahmen eines Schädels wurden sichtbar. Bruchlinien durchzogen den Knochen wie erstarrte Blitze. Maura konnte erkennen, dass sie von zwei verschiedenen Punkten ausstrahlten. Der erste Schlag hatte das Opfer am rechten Schläfenbein getroffen; von dort zog sich eine einzelne, feine Linie zum Ohr hin. Der zweite, heftigere Schlag war weiter hinten aufgetroffen und hatte die Schädeldecke eingedrückt.
    »Er hat sie zuerst an der Schläfe getroffen«, sagte sie.
    »Woher wissen Sie, dass es der erste Schlag war?«
    »Weil die Frakturlinie des zweiten Schlags auf die des ersten zuläuft und dort abrupt endet.« Sie zeigte auf den Punkt, wo die Linien aufeinander trafen. »Sehen Sie, sie hört hier auf, wo sie auf die erste Fraktur trifft. Die Bruchlinie kann diese Lücke nicht einfach überspringen. Das verrät mir, dass der Schlag gegen die rechte Schläfe der erste war. Vielleicht hat sie den Kopf weggedreht. Oder sie hat ihn nicht gesehen, weil er sich von der Seite genähert hat.«
    »Er hat sie überrascht«, sagte Sutcliffe. »Und der Schlag dürfte heftig genug gewesen sein, um sie ins Wanken zu bringen. Dann hat der zweite Schlag sie getroffen, und zwar hier, etwas weiter hinten am Schädel.«
    Sie deutete auf die zweite Bruchlinie.
    »Ein schwererer Schlag«, sagte er. »Das Schädeldach wurde eingedrückt.«
    Er nahm die Röntgenbilder ab und ersetzte sie durch die CT-Aufnahmen. Mittels Computertomographie lässt sich das Innere des menschlichen Schädels sichtbar machen; das Gehirn kann als Reihe hauchdünner Schnitte dargestellt werden. Maura sah eine Stelle, an der sich Blut aus einem der zerstörten Gefäße angesammelt hatte. Dadurch war ein wachsender Druck auf das Gehirn ausgeübt worden. Es war eine Verletzung, die sehr wohl ebenso verheerende Folgen hätte haben können wie diejenigen, die Schwester Camille zugefügt worden waren.
    Doch die anatomischen Gegebenheiten wie auch die Widerstandskraft des Organismus sind von Mensch zu Mensch verschieden. Während die wesentlich jüngere Nonne ihren Verletzungen erlegen war, hatte Ursulas Herz weitergeschlagen; ihr Körper hatte hartnäckiger am Leben festgehalten. Ein Wunder war das nicht – nur eine jener Launen des Schicksals, wie bei dem Kind, das einen Sturz aus dem sechsten Stock bis auf ein paar Kratzer unverletzt übersteht.
    »Dass sie das überlebt hat, erstaunt mich doch sehr«, murmelte er.
    »Mich auch.« Sie sah Sutcliffe an. Der Lichtschein aus dem Kasten fiel seitlich auf sein Gesicht und hob die markanten Linien der Wangenknochen hervor. »Wer so zuschlägt, hat nur eine Absicht – zu töten.«

4
    Camille Maginnes hatte junge Knochen, dachte Maura, als sie am Leuchtkasten des Rechtsmedizinischen Instituts die Röntgenaufnahmen betrachtete. Die Jahre hatten die Gelenke der Novizin noch nicht abgenutzt, ihre Wirbelsäule war nicht verkrümmt, ihre Rippenknorpel nicht verkalkt, und jetzt war es zu spät für dieses zerstörerische Werk der Zeit. Camilles

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