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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Vergangenheit sie bedrängten – die Erinnerung an die Last der Verantwortung, an ihr Versagen.
    Die chirurgische Intensivstation von St. Francis bestand aus einer Stationszentrale und zwölf Patientenzimmern, die im Kreis um diese angeordnet waren. Maura ging auf den Schreibtisch der Stationssekretärin zu und zeigte ihren Dienstausweis vor.
    »Ich bin Dr. Isles vom Rechtsmedizinischen Institut. Dürfte ich bitte die Krankenakte Ihrer Patientin Schwester Ursula Rowland sehen?«
    Die Schwester sah sie fragend an. »Aber die Patientin ist doch gar nicht verstorben.«
    »Detective Rizzoli hat mich gebeten, nach ihr zu sehen.«
    »Ach so. Das Krankenblatt steckt dort drüben im Fach. Nummer zehn.«
    Maura ging auf die Regalwand zu und zog das Aluminiumetui mit der Krankenakte für Bett Nr. 10 aus dem Fach. Sie schlug den vorläufigen OP-Bericht auf. Es war eine handgeschriebene Zusammenfassung, die der Neurochirurg unmittelbar nach der Operation aufs Papier gekritzelt hatte.
    »Offene rechtsseitige Splitterfraktur des Scheitelbeins gereinigt und gehoben. Durariss geschlossen. Vollständigen OP-Bericht diktiert. Dr. med. James Yuen.«
    Sie wandte sich den Aufzeichnungen des Pflegepersonals zu und überflog die Fortschritte der Patientin seit der Operation. Der Schädelinnendruck war dank Gaben von Mannitol und Lasix sowie künstlicher Hyperventilation stabil. Anscheinend wurde alles getan, was unter den Umständen getan werden konnte; jetzt hieß es abwarten – nur die Zeit konnte zeigen, wie groß die neurologischen Schäden wirklich waren.
    Mit dem Krankenblatt in der Hand ging sie auf Kabine 10 zu. Vor dem Eingang saß ein Polizist, der sie mit einem Nicken begrüßte. »Hallo, Dr. Isles.«
    »Wie geht es der Patientin?«, fragte sie.
    »Unverändert, denke ich. Sie ist offenbar noch nicht aufgewacht.«
    Mauras Blick fiel auf den geschlossenen Vorhang. »Wer ist gerade bei ihr?«
    »Die Ärzte.«
    Sie klopfte an den Türrahmen und schlüpfte durch den Vorhang hinein. Zwei Männer standen am Bett. Der eine war groß und schlank, von asiatischer Herkunft, mit finster-durchdringendem Blick und einer üppigen silbergrauen Mähne. Der Neurochirurg, dachte sie, als sie sein Namensschild las: Dr. Yuen. Der Mann, der neben ihm stand, war jünger – in den Dreißigern –, und sein weißer Kittel spannte sich über den massigen Schultern. Das lange blonde Haar war zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden. Ein männliches Supermodel mit Stethoskop, dachte Maura, als sie in das sonnengebräunte Gesicht des Mannes mit den tief liegenden grauen Augen blickte.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte sie. »Ich bin Dr. Isles vom Rechtsmedizinischen Institut.«
    »Von der Rechtsmedizin?«, wiederholte Dr. Yuen und sah sie fragend an. »Kommt Ihr Besuch nicht ein wenig früh?«
    »Die leitende Ermittlerin hat mich gebeten, nach Ihrer Patientin zu sehen. Sie wissen ja, dass es noch ein zweites Opfer gegeben hat.«
    »Ja, wir haben davon gehört.«
    »Ich werde die Leiche morgen obduzieren und würde gerne die Verletzungsmuster bei beiden Opfern vergleichen.«
    »Ich glaube kaum, dass es für Sie hier sehr viel zu sehen gibt. Jedenfalls nicht jetzt, so unmittelbar nach der OP. Da werden die Röntgenaufnahmen und die Schädel-CTs wesentlich aufschlussreicher sein.«
    Sie betrachtete die Patientin und musste ihm wohl oder übel Recht geben. Ursulas Kopf war dick bandagiert; ihre Verletzungen waren durch den wiederherstellenden Eingriff des Chirurgen verändert. Sie lag in einem tiefen Koma, atmete nur mit Hilfe des Respirators. Im Gegensatz zu der schlanken, zierlichen Camille war Ursula eine Frau von üppigen Proportionen, grobknochig, mit dem derben, runden Gesicht einer Bauersfrau. Infusionsschläuche schlängelten sich über ihre fleischigen Arme. Am linken Handgelenk trug sie ein Metall-Armband mit der eingravierten Warnung Allergisch gegen Penizillin. Eine hässliche Narbe, dick und weiß, zog sich über den linken Ellenbogen – die Folge einer alten Verletzung, die schlecht genäht worden war. Vielleicht ein Souvenir von einem ihrer Auslandseinsätze?
    »Ich habe im OP getan, was ich konnte«, sagte Yuen. »Jetzt wollen wir hoffen, dass mein Kollege Dr. Sutcliffe eventuelle Komplikationen abwenden kann.«
    Sie sah den jungen pferdeschwänzigen Arzt an, der ihr lächelnd zunickte. »Ich bin Matthew Sutcliffe, Schwester Ursulas Internist«, sagte er. »Es ist schon einige Monate her, dass sie zuletzt bei mir war. Ich habe

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