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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Nächstes ist wohl das Skapulier dran«, meinte Maura. Sie deutete auf den ärmellosen Überwurf, der von den Schultern bis zu den Knöcheln reichte. Behutsam zog sie ihn über den Kopf der Toten. Der Stoff war steif von getrocknetem Blut. Maura legte das Skapulier auf einer separaten Plane ab, dann löste sie den ledernen Gürtel.
    Sie hatten sich jetzt bis zu einem schwarzen, wollenen Unterkleid vorgearbeitet, das Camilles schlanke Gestalt lose umhüllte. Die letzte Barriere gegen die Verletzung ihrer Würde.
    Maura hatte in den Jahren ihrer Berufstätigkeit schon viele Leichen ausgezogen, doch nie hatte es ihr so widerstrebt, ein Mordopfer vollständig zu entkleiden. Diese Frau hatte sich für ein Leben im Verborgenen entschieden, fern von den neugierigen Blicken der Menschen; jetzt würden sie sie brutal ans Licht zerren, in allen Einzelheiten untersuchen und erforschen und Abstriche von allen Körperöffnungen nehmen. Allein der Gedanke an diese Verletzung der Intimsphäre ließ einen bitteren Geschmack in Mauras Kehle aufsteigen, und sie musste erneut innehalten, um sich zu sammeln. Sie bemerkte Yoshimas fragenden Blick. Falls er innerlich aufgewühlt war, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken.
    Sie konzentrierte sich wieder auf die Aufgabe, die vor ihr lag. Zusammen mit Yoshima hob sie das Unterkleid an und zog es über Schenkel und Hüften der Toten. Es war weit geschnitten, so dass sie die Totenstarre in den Armen nicht brechen mussten, um es ihr über den Kopf zu ziehen. Darunter kamen noch mehr Kleidungsstücke zum Vorschein – eine weiße Baumwollkapuze, die auf die Schultern herabgerutscht war und vorne mit Sicherheitsnadeln an einem weißen, blutbespritzten T-Shirt befestigt war – den Nadeln, die Maura schon auf dem Röntgenbild entdeckt hatte. Die Beine steckten in einer dicken schwarzen Strumpfhose. Darunter trug Camille einen weißen Baumwollslip von übertrieben züchtigem Schnitt, der möglichst viel Haut bedecken sollte. Die Unterwäsche einer alten Dame, nicht die einer attraktiven jungen Frau. Unter dem Baumwollstoff wölbte sich eine Monatsbinde. Wie Maura schon aus den blutigen Bettlaken hatte schließen können, hatte Camille ihre Periode gehabt.
    Nun wandte Maura sich dem T-Shirt zu. Sie öffnete eine der Sicherheitsnadeln, riss einen weiteren Klettverschluss auf und streifte die Kapuze ab. Das T-Shirt ließ sich jedoch wegen der Totenstarre nicht so ohne weiteres entfernen. Sie nahm eine Schere und schnitt es einfach vom Saum her auf. Der Stoff teilte sich, und darunter kam noch eine weitere Schicht zum Vorschein.
    Verblüfft starrte sie auf das Stoffband, das eng um die Brust der Toten gewickelt und vorne mit zwei Sicherheitsnadeln befestigt war.
    »Wozu ist denn das gut?«, fragte Frost.
    »Sieht aus, als hätte sie ihre Brüste eingeschnürt«, erwiderte Maura.
    »Warum?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Als BH-Ersatz?«, riet Rizzoli.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, wieso sie das hier anstelle eines BHs getragen haben sollte. Sehen Sie nur, wie eng es gewickelt ist. Das muss doch unbequem gewesen sein.«
    Rizzoli schnaubte verächtlich. »Ja, BHs sind ja auch so furchtbar bequem.«
    »Das ist doch nicht etwa auch so was Religiöses, oder?«, meinte Frost. »Ein Teil der Tracht?«
    »Nein, das ist eine ganz gewöhnliche elastische Bandage, wie man sie in der Drogerie kaufen kann, für verstauchte Knöchel und Ähnliches.«
    »Aber woher wissen wir denn, was Nonnen normalerweise tragen? Ich meine, es würde mich nicht wundern, wenn sie alle unter diesen ganzen Hauben und Schleiern schwarze Spitzenunterwäsche und Netzstrümpfe anhätten.«
    Niemand lachte.
    Maura sah Camille an, und plötzlich ging ihr die symbolische Bedeutung der eingeschnürten Brust auf. Es war eine Verhüllung, eine Unterdrückung der weiblichen Formen. Ein Versuch, ihre Natur mit Gewalt zu bezwingen. Was war Camille durch den Kopf gegangen, als sie sich die Stoffbahn um die Brust gewickelt und so fest gezogen hatte, bis das elastische Band ganz eng an ihrer Haut anlag? Hatten diese sichtbaren Zeichen ihrer Weiblichkeit sie angewidert? Hatte sie sich reiner, unbefleckter gefühlt, wenn ihre Brüste unter der Bandage verschwunden waren, wenn sie ihre Rundungen verbergen und so ihre sexuelle Identität leugnen konnte?
    Maura löste die zwei Sicherheitsnadeln und legte sie auf ein Tablett. Dann begann sie mit Yoshimas Hilfe die Bandage zu lösen und Streifen um Streifen nackter Haut freizulegen. Doch auch ein

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