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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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den Blick abwandte. Doch auch Rizzoli wich vom Tisch zurück. Jetzt redete niemand mehr über die Anrufe von Mauras Exmann; niemand bedrängte sie, persönliche Details preiszugeben. Die grausige Prozedur auf dem Autopsietisch unterband jedes Gespräch über andere Themen, und Maura empfand darüber eine geradezu abartige Erleichterung.
    Nun hob sie die Beckenorgane mitsamt den äußeren Geschlechtsorganen und dem Schambein in einem Block heraus und legte alles auf ein Schneidbrett. Schon bevor sie den Uterus öffnete, verriet ihr sein äußeres Erscheinungsbild, dass sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hatte. Das Organ war größer als normal, der Fundus lag deutlich über Schambeinhöhe, die Wände waren schwammig. Sie schlitzte die Gebärmutter auf, um das Endometrium freizulegen. Die Schleimhaut war noch dick und mit Blut vollgesogen.
    Maura blickte zu Rizzoli auf. In scharfem Ton fragte sie: »Hat diese Frau das Kloster irgendwann innerhalb der letzten Woche verlassen?«
    »Das letzte Mal, dass Camille das Kloster verlassen hat, war im März, als sie ihre Familie in Cape Cod besucht hat. Das hat Mary Clement mir jedenfalls gesagt.«
    »Dann müssen Sie das Haus und das Grundstück durchsuchen lassen. Und zwar sofort.«
    »Wieso? Wonach sollen wir suchen?«
    »Nach einem Neugeborenen.«
    Die Antwort schien Rizzoli zu treffen wie ein Schlag. Kreidebleich starrte sie Maura an. Dann fiel ihr Blick auf Camille Maginnes’ Leiche, die ausgestreckt auf dem Tisch lag. »Aber ... sie war eine Nonne.«
    »Ja«, erwiderte Maura. »Und sie hat vor kurzem ein Kind zur Welt gebracht.«

5
    Es schneite wieder, als Maura an diesem Nachmittag das Institut verließ. Zarte, filigrane Flocken flatterten vom Himmel wie weiße Schmetterlinge und senkten sich sanft auf die geparkten Autos. Heute war sie auf das Winterwetter vorbereitet und trug hohe Stiefel mit Profilsohlen. Aber dennoch trat sie äußerst vorsichtig auf, als sie über den vereisten, mit einer dünnen Schicht Neuschnee bedeckten Asphalt des Parkplatzes ging. Jedes Mal, wenn sie ein wenig ins Rutschen kam, spannte sie in Erwartung eines Sturzes alle Muskeln an, und als sie endlich ihren Wagen erreicht hatte, seufzte sie erleichtert auf. Dann begann sie in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel zu kramen. Die Suche nahm ihre Aufmerksamkeit so in Anspruch, dass sie kaum registrierte, wie ganz in der Nähe eine Autotür ins Schloss fiel. Erst als sie Schritte hörte, drehte sie sich zu dem Mann um, der auf sie zukam. Wenige Meter vor ihr blieb er stehen. Er sprach kein Wort, stand einfach nur da und schaute sie an, die Hände in den Taschen seiner Lederjacke vergraben. Schneeflocken fielen auf sein blondes Haar und blieben in seinem sorgsam gestutzten Bart hängen.
    Mit einem Blick auf ihren Lexus sagte er: »Ich hatte mir schon gedacht, dass der Schwarze dir gehört. Du trägst doch immer Schwarz. Warst schon immer mehr für die düsteren Töne. Und wer außer dir hält sein Auto so penibel in Schuss?«
    Endlich fand sie ihre Stimme wieder. Doch sie klang merkwürdig heiser, wie die einer Fremden. »Was tust du hier, Victor?«
    »Es schien mir die einzige Möglichkeit, dich endlich zu sehen.«
    »Du meinst, mir auf dem Parkplatz aufzulauern?«
    »Kommt es dir wirklich so vor?«
    »Du hast hier in deinem Wagen gesessen und auf mich gewartet. Das nenne ich auflauern.«
    »Du hast mir ja kaum eine Wahl gelassen. Du hast mich nie zurückgerufen.«
    »Ich bin nicht dazu gekommen.«
    »Und du hast mir nie deine neue Telefonnummer gegeben.«
    »Du hast auch nie danach gefragt.«
    Er blickte zum Himmel auf, aus dem die Schneeflocken wie Konfetti herabrieselten, und seufzte. »Tja. Ist schon wieder ganz wie früher, was?«
    »Zu sehr, wenn du mich fragst.« Sie wandte sich ihrem Wagen zu und drückte auf den Knopf der Fernbedienung. Die Zentralverriegelung löste sich mit einem Klacken.
    »Willst du wissen, warum ich hier bin?«
    »Ich muss jetzt los.«
    »Da setze ich mich extra ins Flugzeug und komme nach, Boston, und du fragst noch nicht mal, warum.«
    »Also schön.« Sie sah ihn an. »Warum?«
    »Drei Jahre, Maura.« Er trat näher, und sie konnte seinen Duft riechen. Leder und Seife. Schnee, der auf warmer Haut schmolz. Drei Jahre, dachte sie, und er hat sich kaum verändert. Immer noch diese jungenhafte Haltung, immer noch diese Lachfalten um die Augen. Und selbst jetzt im Dezember sah sein Haar sonnengebleicht aus – keine künstlichen Strähnchen aus der Flasche,

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