Todsünde
Institut.«
Während sie über das Feld zum Kloster zurückstapfte, spürte sie ihre Blicke im Rücken. Sie atmete erleichtert auf, als sie endlich durch das Tor schlüpfen konnte und hinter den dicken Klostermauern Zuflucht fand. Doch sie war erst wenige Schritte über den Hof gegangen, als plötzlich jemand ihren Namen rief.
Sie drehte sich um und sah Pater Brophy aus einer Tür treten. Er kam auf sie zu, eine ernste Erscheinung in Schwarz. Vor dem Hintergrund des grauen, trüben Himmels leuchtete das Blau seiner Augen besonders intensiv.
»Mutter Mary Clement möchte Sie gerne sprechen«, sagte er.
»Sie sollte sich wahrscheinlich besser an Detective Rizzoli wenden.«
»Sie würde aber lieber mit Ihnen sprechen.«
»Wieso?«
»Weil Sie keine Polizistin sind. Sie scheinen immerhin bereit,
sich ihr Anliegen anzuhören. Und Sie versuchen wenigstens zu verstehen.«
»Was zu verstehen, Hochwürden?«
Er schwieg. Der Wind zerrte an ihren Mänteln und peitschte ihnen ins Gesicht.
»Dass man sich über den Glauben anderer Menschen nicht lustig machen sollte«, sagte er schließlich.
Und das war genau der Grund, weshalb Mary Clement nicht mit Rizzoli sprechen wollte – mit Rizzoli, die ihre Skepsis nicht verbergen konnte, die Verachtung, die sie für die Kirche empfand. Etwas so Persönliches wie der Glaube sollte nicht dem Spott preisgegeben werden.
»Es ist ihr sehr wichtig«, sagte Pater Brophy. »Bitte.«
Sie folgte ihm ins Haus. Durch einen düsteren, zugigen Korridor gelangten sie zum Büro der Äbtissin. Mary Clement saß an ihrem Schreibtisch. Sie blickte auf, als die beiden eintraten, und die Augen, die sie durch die dicken Brillengläser anstarrten, versprühten Zorn.
»Nehmen Sie Platz, Dr. Isles.«
Die Jahre in der Holy Innocents Academy lagen zwar lange hinter ihr, doch der Anblick einer erzürnten Nonne konnte Maura immer noch aus der Fassung bringen, und so gehorchte sie schweigend und ließ sich wie ein schuldbewusstes Schulmädchen auf den Stuhl sinken. Pater Brophy blieb ein wenig abseits stehen, ein stiller Beobachter dessen, was nun auf sie zukam.
»Sie haben uns nicht gesagt, was der Grund für diese Suchaktion war«, begann Mary Clement. »Sie haben Unruhe in unser beschauliches Leben gebracht. Unsere Privatsphäre verletzt. Wir haben die Arbeit der Polizei von Anfang an unterstützt, und doch sind wir behandelt worden, als wären wir der Feind. Der Anstand hätte es geboten, uns wenigstens zu verraten, was es ist, wonach Sie suchen.«
»Ich glaube wirklich, dass Detective Rizzoli in diesem Fall die richtige Ansprechpartnerin ist.«
»Aber Sie waren es, die den Anstoß für die Suche gegeben hat.«
»Ich habe der Polizei nur gesagt, was ich bei der Autopsie herausgefunden hatte. Dass Schwester Camille vor kurzem ein Kind zur Welt gebracht hat. Es war Detective Rizzolis Entscheidung, das Kloster durchsuchen zu lassen.«
»Ohne uns zu sagen, warum.«
»Polizeiliche Ermittlungen werden gewöhnlich verdeckt durchgeführt.«
»Der wahre Grund war, dass Sie uns nicht vertrauen. Habe ich Recht?«
Maura begegnete Mary Clements anklagendem Blick und musste feststellen, dass sie nicht umhin konnte, ihr die Wahrheit zu sagen. »Wir hatten keine Wahl. Wir mussten einfach jedes Risiko ausschließen.«
Anstatt sie noch wütender zu machen, schien Mauras ehrliche Antwort den Zorn der Äbtissin zu dämpfen. Sie wirkte plötzlich kraftlos und ausgelaugt, als sie sich in ihrem Sessel zurücklehnte, und erschien wieder wie die gebrechliche ältere Frau, die sie in Wirklichkeit war. »Was ist das für eine Welt, in der man nicht einmal mehr uns vertrauen kann?«
»Ebenso wenig wie allen anderen, Ehrwürdige Mutter.«
»Aber das ist es ja eben, Dr. Isles. Wir sind nicht wie alle anderen.« Sie sagte das ohne jeden Anflug von Überheblichkeit. Es war eher eine tiefe Traurigkeit, die Maura in ihrer Stimme wahrnahm, und Verwirrung. »Wir hätten Ihnen doch geholfen. Wir hätten Sie unterstützt, wenn wir nur gewusst hätten, wonach Sie suchen.«
»Sie hatten wirklich keine Ahnung, dass Camille schwanger war?«
»Wie hätten wir denn so etwas ahnen sollen? Als Detective Rizzoli es mir heute Morgen sagte, wollte ich es einfach nicht glauben. Ich kann es immer noch nicht glauben.«
»Ich fürchte, den Beweis haben wir im Teich gefunden.«
Die Äbtissin schien in ihrem Sessel noch mehr zusammenzuschrumpfen. Sie senkte den Blick auf ihre knotigen, arthritischen Hände und starrte sie an, als ob sie
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